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Mittwoch, 5. Februar 2020

Intellektuelle Redlichkeit im Klimajournalismus

(aktualisiert am 6.2.2020)

Sehr geehrter Herr Haffner,

Viel steht in Ihrem jüngsten Magazin-Artikel über intellektuelle Redlichkeit, der am Anspruch des Titels gemessen werden muss.  

Ich würde an Ihrer Aussage zweifeln, dass reputierte Wissenschaftler die Greta Thunberg verspotten (Abschnitt 2), ich kenne keinen. Die von Ihnen als Beispiele angegebenen Niall Ferguson und Björn Lomborg sind nicht Naturwissenschaftler und der ebenfalls angeführte Pinker war zwar einmal Experimentalpsychologe, hat sich aber zum Gesundbeter gewandelt. Wenn Sie mit normalen und reputierten Naturwissenschaftlern unserer Universitäten oder Gymnasien reden so ist die Besorgnis über die Entwicklung allgemein.

Sie fahren weiter: «Gewiss ist das Ende der Welt nicht nahe, und in Panik zu geraten, wie Greta Thunberg das wünscht, ist nicht klug». Sind Sie sich dessen wirklich so sicher? Jetzt wird es kompliziert, aber wer sich Redlichkeit auf die Fahne schreibt, darf sich nicht drücken.

Ich lade Sie freundlich ein, die angehängte Graphik der mittleren Julitemperaturen der letzten 140 Jahre anzusehen. Was doch ganz deutlich ist, ist dass der Anstieg sich beschleunigt, in letzter Zeit eindeutig und dramatisch.  Das ist ein empirischer Fakt und keine Theorie.


Die Theorie dazu gibt es: Weil die CO2-Konzentration dauernd steigt muss sich die Temperaturzunahme beschleunigen. Das ist aber nicht alles: Weil auch der CO2-Ausstoss dauernd steigt muss sich auch die Beschleunigung der Temperaturerhöhung beschleunigen, das ist doch recht ungemütlich. Diese Beschleunigungen werden von den IPCC-Voraussagen (auf die Greta sich stützt) nicht berücksichtigt. Damit werden wir die 1,5 Grad Zunahme nicht 2040 – wie vom IPCC vorausgesagt – sondern 2030 erreichen.

Das Abholzen und die grossflächigen Waldbrände der vergangenem und der kommenden Jahre verschlechtern die CO2-Bilanz weiter. Wie der renommierte Klimatologe Schellnhuber sagte, töten wir unsere besten Freunde, die Bäume (Link zum Video-Interview).  Auch das in keiner Prognose berücksichtigt und macht übrigens Emissionshandel und Zertifikate zum Geschwätz.

Damit sind wir nicht am Ende der Kalamitäten: Die Redlichkeit geböte, sich auch darüber Rechenschaft abzulegen, dass die Schnee- und Eisdecke der Erde und damit ihre Rückstrahlung rasant abnimmt. Damit können die errechneten Temperaturerhöhungen nochmals um bis zu 50 Prozent höher werden, auch das vom IPCC (und Greta) nicht berücksichtigt.

Am gemeinsten ist rasche Methananstieg, den man erst seit wenigen Jahren beobachtet. Methan und CO2 werden u.a. aus dem Permafrost freigesetzt, diesem Permafrost der schon jetzt weitflächig auftaut, obschon die Experten dieses Auftauen erst gegen Ende des Jahrhunderts erwartet hatten. Die Redlichkeit geböte, einzusehen, dass Methan ein 30 mal wirksameres Treibhausgas ist, als das CO2. Und wenn mit steigender Temperatur der Methanausstoss zunimmt, kann es sein, dass die Katastrophe nicht in einem Raster von Jahrzehnten abläuft, sondern möglicherweise in Jahren oder sogar Monaten.

Und irgendwann bricht die industrielle Gesellschaft zusammen, gewisse Experten wie Servigne oder Bendell rechnen damit schon im kommenden Jahrzehnt, und dann geböte uns die Redlichkeit einzusehen, dass damit der Ausstoss von Feinstaub absinkt. Da der atmosphärische Feinstaub die Strahlungsreflexion erhöht und die Erwärmung gebremst hat, wird das zu einer weiteren wesentlichen Beschleunigung führen.

Als Arzt haben wir vor solchen Rückkoppelungsmechanismen sehr Angst. Ein Beispiel: Die Verengung der Hauptschlagaderklappe kann innert Minuten oder sogar Sekunden zum Herztod führen, weil solche feedbacks aktiv werden.

Nein, Greta sieht die Sache zu harmlos. Sie redet auch noch von einem CO2-Budget, das längstens nicht mehr existiert. Und fast jeden Monat müssen Klimaprognosen zum schlechteren korrigiert werden. 

Alle diese Informationen kann man im Detail belegen und sie sind einem interessierten Laien durch kurze Internetrecherchen leicht zugänglich. Selbst wenn das eine oder andere Detail anders gesehen werden kann, fügt sich das Gesamtbild zu einer angekündigten Katastrophe und zwar viel schneller als wir noch vor wenigen Jahren dachten. Ich wundere mich, wieso unsere Medien darüber nichts schreiben. Sind Journalisten wirklich weniger neugierig als ein 78-jähriger Greis? Oder fehlt es an intellektueller Redlichkeit? Damit wären wir wirklich bei Ihrem Thema 😊.

Freundliche Grüsse

Lukas Fierz, Alt-Nationalrat.    

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Dieser Brief ging am 3.2.2020 an den Autor. Er hat wie folgt Stellung genommen:

Sehr geehrter Herr Fierz,

haben Sie Dank für Ihre Zuschrift; die von Ihnen erwähnten Faktoren der Beschleunigung der Erderwärmung sind mir bekannt und machen mir nicht weniger Sorgen als Ihnen. Deshalb habe ich ja auch im zweitletzten Abschnitt geschrieben, dass wir die Erwärmung über zwei Grad hinaus vermutlich nicht werden verhindern können, mit katastrophalen Folgen.

In Panik zu geraten halte ich dennoch für unklug, und ich nehme an, dass Sie als praktizierender Arzt auch in Ernstfällen versucht haben, Panik zu verhindern statt sie zu fördern.

Mit besten Grüssen,

Peter Haffner


P.S.: Was Wissenschafter und “intellektuelle Redlichkeit” betrifft, habe ich explizit solche im Visier, die nicht vom Fach sind.

Ich habe wie folgt geantwortet:

Lieber Herr Haffner,

Ich habe mehrere Herzstillstände erfolgreich reanimiert, einmal auch beim Tennisspiel auf einem Tennisplatz. Da ist man durchaus panisch, weil es um Leben und Tod innert Sekunden geht. Aber man schaltet aus dem Panikmodus in den Notfallmodus um und agiert mit den gelernten Reflexen rasch und erfolgreich.

Sie haben in Ihrem Artikel nicht nur von Panik abgeraten, sondern sich auch dahingehend geäussert, dass das Ende der Welt gewiss nicht nahe sei. Aber wir sind vielleicht näher dran, als uns lieb ist, weil die Vorgänge, wie gesagt, selbstverstärkend und nichtlinear sind und jederzeit rasch eskalieren können, bzw. jetzt eskalieren, man denke nur an den soeben wärmsten je gemessenen Januar.

Drum wäre Panik die einzig adaequate Reaktion, um in den Notfallmodus zu wechseln, der uns veranlassen würde, endlich die versäumten Massnahmen zu treffen. Aber es geschieht nichts, weil uns alle von links bis rechts und von Tages-Anzeiger bis NZZ des «Tout va bien Madame Marquise» versichern.  

Mit freundlichen Grüssen   

Lukas Fierz