Zum Variationensatz im „Forellenquintett“ in A-Dur, Op.posth 114 D667.
Schubert hat zu einigen seiner Lieder auch instrumentale
Variationensätze geschrieben, einer findet sich auch im Forellenquintett.
Der Liedtext ist ja bekannt:
In einem Bächlein
helle
Da schoss in froher Eil
Die launische Forelle
Vorüber wie ein Pfeil
Ich stand an dem Gestade
Und schaut in süsser Ruh
Des muntern Fisches Bade
Im klaren Bächlein zu.
Ein Fischer mit der Rute
Wohl an dem Ufer stand
Und sah's mit kaltem Blute
Wie sich das Fischlein wand.
Solang dem Wasser Helle
So dacht ich nicht gebricht
So fängt er die Forelle
Mit seiner Angel nicht.
Doch plötzlich war dem
Diebe
Die Zeit zu lang. Er macht
Das Bächlein tückisch trübe,
Und eh ich es gedacht
So zuckte seine Rute,
Das Fischlein zappelt dran
Und ich mit regem Blute
Sah die Betrogne an.
Weniger bekannt ist Entstehung dieses Gedichtes: Der Dichter und Organist Christian Friedrich Daniel Schubart (https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/schubart.html) schrieb es 1782 in der Württembergischen Festung Hohenasperg, wo er seit schon über fünf Jahren in einem Turm in Einzelhaft sass.
Der Grund: Geboren 1739 war er ab 1769 Organist im Württembergischen Ludwigsburg wurde dort aber wegen kirchenfeindlicher Gesinnung und Liederlichkeit des Landes verwiesen. Im Exil schrieb er von 1774-1777 wöchentlich in seiner "Deutschen Chronik" freimütige Beiträge zur lokalen und internationalen Zeitgeschichte, sowie Polemiken gegen Kirche und Absolutismus, gegen inkompetente Regenten und Kleinstaaterei. Er berichtete begeistert über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, propagierte Grundrechte und Nationalstaat. Daneben vertrat er die Genie-Aesthetik von Sturm und Drang und berichtete informiert über Literatur und Musik. Er war also ein eigentlicher Liberaler im ursprünglichen politischen Sinn, im Zeitgeist Beethovens und der sich abzeichnenden Revolution. Es lohnt sich, einen Blick auf das Faksimile der Zeitschrift zu werfen: Deutsche Chronik Augsburg aufs Jahr ... : Christian Friedrich Daniel Schubart : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
1777 wurde er auf Anordnung des Herzogs mit einer tückischen List über
die Grenze nach Württemberg gelockt und ohne Gerichtsurteil als gefährliches Subjekt zwecks
gewaltsamer Umerziehung eingesperrt. Anfangs war er dort mit Sprech- und
Schreibverbot belegt und wurde häufig geprügelt. Nach Jahren konnte er
seine Gedichte nur durch ein Mauerloch einem Mitgefangenen diktieren und dann
aus dem Gefängnis herausschmuggeln lassen. Jahre später durfte er
Gedichte auch aufschreiben und nach Zensur weitergeben. Erst zehn Jahre
später freigelassen starb er schon 1791.
Das Forellengedicht beschreibt eigentlich Schubarts eigenes Schicksal, aber
verschlüsselt. Zur noch besseren Täuschung der Zensur hatte das Gedicht noch
eine vierte Strophe, welche unerfahrene Mädchen davor warnt, sich von falschherzigen
Verführern angeln zu lassen.
Den Zeitgenossen jedoch war der autobiographisch-politische Gehalt klar: Die
Forelle ist Schubart selber, der tückisch gefangengesetzt wurde. Und Schubert,
der später, aber im ähnlich repressiven Metternich'schen Staat lebte, war der Sinngehalt des Gedichtes zweifellos klar. Und er vertonte
auch nur die ersten drei Liedstrophen und dies in einer musikalischen Form, die
ein Anhängen der tarnenden letzten Strophe gar nicht erlaubt.
Auch im Variationensatz des sogenannten Forellenquintetts kann man das Gedicht
anklingen hören: Zuerst das Thema als friedliche Natur. In der ersten Variation
das Spiel der Wellen. In der zweiten das Spiel der Forelle. In Variation drei
spielen Cello und Kontrabass das Thema unisono und piano (es wird
allerdings entgegen der Anweisung immer forte gespielt!), übertönt von im forte
wirbelnden Arpeggien des Klaviers - wirbelt hier der Fischer auf leisen Sohlen
verstohlen das Bächlein auf, der Forelle die Sicht trübend? Die vierte
Variation fortissimo, höchste Erregung, dann Ersterben - kämpft und verendet
hier die Forelle an der Angel? Dann das traurig klagende Cello der fünften
Variation, eine der überhaupt rührendsten Celloparts der Kammermusik - wohl die
Trauer über den Verlust von Freiheit und Leben. Zuletzt als doch heiterer
Abschluss die Erinnerung, was die Forelle war und sein könnte.
Wenn Schuberts Zeitgenossen das Stück politisch verstehen konnten, so können
wir heute darin auch eine Klage über den stückweisen Verlust von Natur und
Kreatur hören.
Das sagt soooo viel aus über uns Deutsche. Wir mögen es idyllisch, regressiv, biedermeierlich. So gefällt uns die Klassik, mit Kerzenschein und Kammermusik und Träumen von der Natur. Nur mit Revolution können wir nix anfangen. So einen Hintergrund müssen wir unbedingt vergessen. Es verdirbt uns sonst die Spaß ander Musik.
AntwortenLöschenEtwas wollte ich Sie schon länger fragen. Kennen Sie Joachim Radkau, und sein Buch über die "Ära der Ökologie"? (2011) Das gilt als Standardwerk der Umweltgeschichte in Deutschland. Das letzte Kapitel handelt vom Klimawandel. Radkau behauptet, dass die Chaostheorie, die Chaosforschung Hoffnungen darauf macht, dass sich Klima und Biosphäre trotz Erderwärmung plötzlich stabilisieren könnten. -- Haben Sie davon anderswo einmal gehört? Chaos als Strohalm der Hoffnung?
AntwortenLöschenIch kenne das Buch nicht. Natürlich ist immer alles denk- und vorstellbar. Nur ist es eine Frage von Wahrscheinlichkeiten. Wenn wir einen Schritt zurücktreten und uns vergegenwärtigen, dass die Wärmezufuhr zu unserem Planeten der Energie von mehreren Atombomben pro Sekunde (!) entspricht, und dass die primäre Erwärmung von mehreren Dutzend positiven und teils explosiven (Methan!) Feedbackfaktoren verstärkt wird und sich deutlich beschleunigt so ist die Frage nur noch, ob man die Zeit bis zum Ende der Biosphäre nicht eher in Jahren als in Jahrzehnten schätzen muss. Dass wir das Jahr 2100 unbeschadet erreichen scheint mir äusserst unwahrscheinlich. Weil jetzt in ein El Nino-Jahr eintreten so werden wir einen neuen Beschleunigungsschub schon bald spüren.
AntwortenLöschen"Die steile Karriere der Klimaforschung wird von vielen Laien mit einer Machtergreifung der ökologischen Wissenschaft gleichgesetzt; aber Klimaforschung ist keineswegs gleich Ökologie, auch wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, als seien mit Modellrechnungen über die längerfristige Entwicklung der Durchschnittstemperaturen Aussagen über deren ökologische Folgen gleichsam nebenbei zu machen. Davon kann in Wahrheit keine Rede sein. Eher kann es verblüffen, in welchem Maße neuere Entwicklungen der Ökologie am populären Umweltbewusstsein vorbeilaufen. Die wichtigste theoretische Innovation in der Ökosystem-Forschung seit den 1980er Jahren ist die Chaostheorie, die über statische Systemmodelle hinausführt, die Bedeutung nichtlinearer, «chaotischer» Entwicklungen in der organischen Welt betont und den prognostischen Wert von Modellen relativiert.
LöschenNicht nur Veränderungen in Ökosystemen und Populationen, sondern auch der Klimawandel enthält ein «chaotisches», nur begrenzt prognostizierbares Element. Aus diesem Sachverhalt praktische Folgerungen zu ziehen ist nicht leicht. Umso bemerkenswerter ist es – aus historischer ebenso wie aus ökologischer Sicht –, in welchem Maße es die Klimaforschung seit den 1980er Jahren verstanden hat, zu einer internationalen Autorität zu werden – wenn nicht für die effektive Politik, so doch für die ökologischen Postulate." (Radkau 2011).
-- M.E. ist das absichtlich schwammig formuliert, aber gemeint ist folgendes: Wegen der Chaosforschung kann man gar nicht sicher sein, ob die Katastrophe wirklich kommt. Der IPCC tut zwar so, als könnte man sich da sicher sein, aber das stimmt gar nicht. Denn die Funktion: "Erwärmung führt zur Katastrophe" ist ja linear und damit auf (potentiell) chaotische Systeme nicht anwendbar. -- Mich würde Ihre Meinung dazu interessieren.
Die Klimaforschungskritiker tun immer so, wie wenn wir es nur mit Modellrechnungen zu tun hätten. Tatsache ist, dass Hansen, in den Achtzigerjahren VOR irgendeiner feststellbaren Erwärmung mit einem primitiven Modell die Erwärmung der nächsten Jahrzehnte recht genau vorausgesagt hat. Hansen ist deshalb für mich eine Hauptautorität. Er hat das Pariser Abkommen und das 1,5 Gradziel bis 2100 von Anfang an als "fake" erklärt, was es wohl ist, weil er die 1,4-1.5 Grad Erwärmung schon für 2024 voraussagt. Wir haben jetzt schon eine jahrzehntelang sich beschleunigende Erwärmung und die Hoffnung auf Abkühlung durch Chaostheorie scheint mir so illusorisch wie die Hoffnung auf Hitlers Wunderwaffen.
Löschen(http://www.columbia.edu/~jeh1/mailings/2023/Temperature2022.12January2023.pdf)
Na was sagen Sie dazu? Birgit Schmid vor ein paar Wochen in der NZZ. (Die gehört sicher auch längst den Saudis).
AntwortenLöschenhttps://www.nzz.ch/meinung/angst-als-wohlstandsphaenomen-wie-sorgen-pathologisiert-werden-ld.1721530?reduced=true
" Die Angstkultur, die Pfaller feststellt, hat mit Saturiertheit zu tun. Es geht uns so gut, es kann gar nicht mehr besser werden. Vielmehr ist das Erreichte bedroht. ... Deswegen treibt die Klimaangst die Leute vor allem in reichen Ländern auf die Strasse. Junge Aktivistinnen und Aktivisten kritisieren das wirtschaftliche Wachstum als Ursache für die Zerstörung der Umwelt. Der Wohlstand erlaubt es ihnen aber auch, diesen Fokus in ihrem Leben zu setzen und für mehr Klimaschutz zu protestieren. Sie, die Krieg und Unterdrückung nur aus den Nachrichten kennen, sind privilegiert: Sie haben die Freiheit, für so radikale Forderungen einzustehen im Gegensatz zu Gleichaltrigen in Afghanistan, Hongkong oder Iran, deren Ängste sich viel unmittelbarer aus ihrem Alltag speisen. ... Damit bestätigen sie die Tendenz, jede Befindlichkeit zu pathologisieren. Für Trauer, Essattacken, Vergesslichkeit gibt es heute im internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten (ICD) eine Diagnose. Wie lange wird es wohl dauern, bis auch die Klimaangst eine eigene psychiatrische Diagnose erhält? Der Vorstoss der Grünen wurde vom Zürcher Stadtrat abgelehnt. Statt Ängste zu schüren, so wurde von anderen Parteien zu Recht kritisiert, solle man den Jungen Hoffnung machen und Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel aufzeigen."
Frau Birgit Schmid studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Komparatistik an der Universität Zürich. 2004 wurde sie bei Peter von Matt mit ihrer Dissertation über die literarische Identität des Drehbuchs, untersucht am Fallbeispiel Agnes von Peter Stamm, promoviert.[1] Anschließend arbeitete sie als Filmkritikerin, unter anderem für die Neue Luzerner Zeitung und als freie Journalistin für diverse Schweizer Zeitungen, war stellvertretende Chefredakteurin beim Magazin, bevor sie 2015 in die Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung wechselte,[2] bei der sie den Wochenendbund mitverantwortet und bis Herbst 2022 wöchentlich eine Kolumne zum Thema Beziehungen schrieb. Seit Sommer 2022 ist sie Redaktorin im Feuilleton.
LöschenDas heisst sie gehört zu den Phil-Einsern, die meinen, dass man zu allem eine beliebige Meinung haben kann, und die nie gelernt haben, dass man zu Naturgesetzen keine Meinung haben kann, weil sie so sind und bleiben wie sie sind.
Rudolf Bahro? Haben mal sein Buch gelesen von 1987, Logik der Rettung? Reingucken könnte sich lohnen.
AntwortenLöschenhttps://detopia.de/B/Bahro-Rudolf/1987-Logik-der-Rettung/s027-11-Wie-ich-die-Lage-sehe.htm
Kenne ich nicht. Wir haben 1983 in Bern als grüne Gruppierung die Freie Liste gegründet und in diesen Jahren intensive und eigenständige Programmarbeit gemacht. Von den Deutschen Grünen blieben wir damals bewusst distanziert, sie schienen uns teils zu ideologisiert. Wir versuchten, rechtsstaatlich-marktwirtschaflich zu denken. Eine zentrale Idee war z.B., anstatt die Arbeit die Energie zu besteuern um den Umbau zu einer energiesparenden Wirtschaft zu beschleunigen, u.a. durch Subventionierung von Energiesparmassnahmen (Gebäudeisolation). Tönt prosaisch, aber hätte man das damals schon gemacht würden wir jetzt anders dastehen. Auch eine sachliche Diskussion über Bevölkerungsgrösse konnte damals noch stattfinden, heute ein Ding der Unmöglichkeit.
LöschenNach 4 Monaten dürfen Sie mal wieder was schreiben Sie Faulpelz
AntwortenLöschenDanke für den Hinweis. Ich lese, was Köppel, NZZ, BUND und die Grünen schreiben und es fällt dazu nichts ein, was jetzt gerade gesagt werden müsste. Auffallend, dass die Klimaupdates von James Hansen seit Anfang Jahr auch ausbleiben.
LöschenDer Perlentaucher verlinkt heute auf einen schamlosen Lobbyartikel eines gewissen Laurin auf den “Ruhrbaronen”
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