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Montag, 7. Oktober 2019

Negativzinsen oder "Der Markt hat immer recht"

(Zuerst erschienen auf Journal21.ch am 6.10.2019)

Negativzinsen sind eine Zusatzsteuer auf parkiertem Geld. Offiziell sollen sie zu Investitionen zwingen und so die Wirtschaft ankurbeln, eine Art finanzielles Zauberlehrlingsspiel, gespielt von  Zentralbankern für Regierungen, die im Sattel bleiben wollen. So wird es uns erklärt. 
Aber könnte es nicht sein, dass es gar kein Zauberlehrlingsspiel ist, sondern ein Symptom, ein Abbild der Realität? 

Im Grunde genommen ist Zins eine Wette auf eine profitable Zukunft: Du bringst Dein überschüssiges Geld zur Bank, die leiht es jemandem, der damit Geld verdient, der am Schluss Zins und geliehenes Kapital zurückzahlt und den Rest behält - eine Win-Win-Situation. 

So könnte ein Negativzins auch signalisieren, dass es diese Win-Win-Situation nicht mehr gibt, weil es keine profitable Zukunft  gibt, etwa derart, dass man in Zukunft mit Geld weder viel verdienen noch kaufen kann. 

Ja, was ist mit dieser Zukunft? Der Ausstoss von Treibhausgasen wird jährlich grösser, nicht kleiner. Die IPCC-Reports berichten nur die Hälfte der Kalamität. Bis 2030 kommen anderthalb Grad globaler Klimaerwärmung, zwei Grad bis 2040 und vier bis fünf oder mehr Grad bis 2100. Rockström, der Direktor des Klimainstituts Potsdam, meint, dass eine vier Grad wärmere Erde kaum 8 Milliarden Menschen, und vielleicht nicht einmal die Hälfte davon wird ernähren können.  Schon jetzt leidet ein Viertel der Menschheit an Wassermangel. Weltweit sterben Bienen, andere Insekten, Fischpopulationen, Landlebewesen, während die Weltbevölkerung weiter explodiert. 

Derweil sind wirkungsvolle Gegenmassnahmen nicht festzustellen, nur wirkungslose Absichtserklärungen (Kyoto, Paris) und Alibimassnahmen (CO2-Kompensation). Im Endeffekt sind wir unterwegs zu einem unbewohnbaren Planeten, mit Verhältnissen wie im Mittleren Osten, Hungersnöten, Seuchen, Massenmigrationen, Staatszerfall und Krieg. In einer solchen Welt werden Geld und seine Derivate den Wert verlieren. Wie, wenn uns die Negativzinsen genau das signalisieren wollten? Schliesslich hat der Markt immer recht...

Donnerstag, 29. August 2019

Offener Brief an einen Tagi/BUND-Kolumnisten

Immer wieder stösst man auf Kolumnen und Berichte, die einem aufstossen. Hoffend, dass deren Verfasser zu Denkvorgängen gebracht werden können, schreibe ich diesen manchmal persönlich. Nur ausnahmsweise erhält man eine Antwort. Darum schreiben wir vielleicht lieber offene Briefe, damit wenigstens die übrige Öffentlichkeit erfahren kann, was für Stuss abgesondert wird.

Michael Hermann ist regelmässiger Kolumnist bei BUND und TAGES-ANZEIGER. Er studierte Geografie, Volkswirtschaft und Geschichte an der Universität Zürich und  promovierte am Geografischen Institut der Universität Zürich zum Thema «Werte, Wandel und Raum». Er ist Geschäftsführer des Instituts Sotomo, welches gemäss Eigenwerbung "mit  massgeschneiderten Umfragen umfassende Einblicke in die Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen ermöglicht".  

Dieser Brief ging zuerst direkt an Herrn Herrmann. Er hat nicht reagiert.  



Lieber Herr Herrmann,

Ich lese heute etwas ratlos Ihre Kolumne aus BUND und TAGES-ANZEIGER (26.8.2019) über die bevorstehenden Wahlen: Nach Ihnen "können sich die Grünen nur selber schlagen, mit der für das progressive Spektrum so typischen, flüchtigen, in Trägheit umschlagenden Euphorie". Also die gemein-hämische Haltung gegenüber den Grünen und dem Umweltproblem, die wir seit vierzig Jahren bestens kennen, die den bürgerlichen Chefredaktoren passt und die jede Lösung bisher verunmöglicht hat.
Wie wollen Sie denn das «Geschlagen-sein» bzw. «Nicht-geschlagen-sein» definieren? Die Grünen sind doch ab 1980 in der Umweltfrage angetreten, an der sich seit dem ersten Bericht des Club of Rome nicht viel geändert hat. Die Voraussage war damals ein Kollaps der Ökosysteme ab 2030, falls nicht Massnahmen ergriffen UND die Weltbevölkerung sofort stabilisiert werde. Das Problem wäre damals noch irgendwie lösbar gewesen, aber - in Ihren Worten - "die jutesackbewehrten Grünen wurden als gefährliche Wohlstandsgefährder angesehen". Tatsächlich hatten sie bis Frühjahr 2019 nie eine Breitenwirkung. Das hat erst dank Greta geändert.
Inzwischen ist das Umweltproblem zu grossen Teilen oder wahrscheinlich überhaupt nicht mehr lösbar. Lesen Sie das Buch «Change» von Graeme Maxton oder bei Bendell (https://www.lifeworth.com/deepadaptation.pdf). Somit steht fest: Die Grünen sind geschlagen, ganz gleich, wie das Wahlergebnis ausfallen wird. Sie sind doch nicht nur Politologe, sondern auch Geograph, das sollte Ihnen klar sein.
Einige Stichworte: Der Temperaturanstieg ist hundert Mal rascher als frühere Temperaturanstiege und er beschleunigt sich in den letzten Jahren. Alle Prognosen des IPCC waren viel zu optimistisch, die 1,5 Grad Erwärmung werden nicht – wie einst erhofft - 2100 erreicht und nicht 2050, und auch nicht 2040, sondern schon 2030. Die 2 Grad somit 2040. Dann wird Südeuropa vertrocknen und unfruchtbar und der Mittlere Osten wird grossteils unbewohnbar. Bis 2100 steigt die Temperatur mit Einhaltung der Pariser Verträge um 3,2 Grad, und weil sie bisher nicht eingehalten wurden um 4-5 Grad. Damit kann die Erde vielleicht noch 1 Milliarde ernähren, wenn nicht weniger.
Vielfache Selbstverstärkungsmechanismen (Ungebremster Anstieg der Treibhausgase, Flächenbrände, Methanfreisetzung, verminderte Strahlungreflexion durch Eisschmelze) drohen den Temperaturverlauf explosiv zu machen und die höhere Biosphäre sowie die Menschheit in einer «hothouse earth» auszulöschen. Unterwegs wird zuerst das Finanzwesen zusammenbrechen (die Negativzinsen sind ein getreues Marktabbild der ausweglosen Situation), Ihre «flächendeckende Dienstleistungsgesellschaft» wird sich als überflüssig zersetzen, die Industriegesellschaft redimensioniert, es resultieren ein Heer von Arbeitslosen, soziale Unruhen und Hungersnöte. Migrationen von Milliarden und Kriege sind obligatorisch abzusehen. Die bevorstehenden Wahlen sind dafür ziemlich irrelevant.
Man kann sich fragen, wer die Kalamität zu verantworten hat. Der grosse Journalist Arnold Hottinger sagte mir, es sei auch ein Versagen «von uns» (er meinte Presse und Medien) gewesen. Es ist auch ein Versagen der Wissenschaft, die vielfach nicht klar gesprochen hat.
Ehrlich gesagt wundere ich mich, dass man darüber in den Zeitungen nichts liest. Bei der NZZ bin ich inzwischen zum Schluss gekommen, dass der Abopreis so hoch ist, weil man dafür bezahlt, nichts darüber lesen zu müssen. So kann der brave Bürger ungestört weiter schlafen.
Mit freundlichen Grüssen
Lukas Fierz
Alt-Nationalrat

Donnerstag, 15. August 2019

Und was, wenn wir uns nicht retten können?

(Artikel zuerst erschienen im Journal 21 vom 15.8.2019, aktualisiert am 7.2.2022)

Viktor Vasnetsov (1887): Die vier apokalyptischen Reiter. 

Neu ist, dass sich alles beschleunigt: Das Eis schmilzt rascher als gedacht und wenn es die Strahlung nicht mehr reflektiert steigt die CO2-bedingte Erwärmung nochmals um 20 oder mehr Prozent (1). Das Meer erwärmt sich rascher und steigt rascher (2) als vorausgesagt. Die Treibhausgase steigen weiter, der Temperaturanstieg beschleunigt sich nach wie vor, und die fatale Selbstverstärkung durch Methanfreisetzung und Grosswaldbrände hat eben erst begonnen. Seit Frühjahr 2019 wurden Hunderte von Temperaturrekorden gebrochen, unter anderem mit den wärmsten je gemessenen Monaten Januar, Mai, Juni und Juli.  

Temperatur im Juli (global) 1880-2019

Die vier apokalyptischen Reiter sind: Die Klimaerhitzung (3), die bis hundert mal schneller abläuft, als frühere Erwärmungen. Der Wassermangel (4), der einen Viertel der Menschheit bedroht. Das Artensterben (5) durch Schwund und Vergiftung der Lebensräume. Und nicht zuletzt die Überbevölkerung (6), die Grundursache, die weiter zunimmt. Jeder Faktor kann allein tödlich sein, aber sie wirken zusammen. Der Direktor des Potsdam Instituts für Klimaforschung Johan Rockström, ein Experte für die Grenzen des Planeten sagt, dass es schwierig sei, sich vorzustellen, wie eine 4 Grad wärmere Erde noch acht Milliarden Menschen, oder auch nur die Hälfte davon ernähren könne (7). Und die andere Hälfte? 

Viele rufen nach Massnahmen, und viele balgen sich mit jenen, die die Probleme leugnen. Aber ist das sinnvoll? Gibt es aus diesem vierfachen Overkill überhaupt noch ein Entrinnen? 

Beispielsweise erlebte der Amerikaner Roy Scranton als Soldat im Irakkrieg Schrecken und Staatszerfall. Zurück in den USA dämmerte ihm, dass dieselben Entwicklungen den Industriestaaten bevorstünden. Wie der Soldat das Sterben lernen müsse, müssten im Anthropozän auch wir lernen, zu sterben, und zwar nicht nur als Einzelindividuen, sondern als Kollektiv wie er in seinem Buch
«Learning to Die in the Anthropocene» (8) schreibt.

Unabhängig von ihm sagen die Franzosen Pablo Servigne und Raphaël Stevens in ihrem Buch 
«Comment tout peut s'éffondrer- Petit manuel de collapsologie à l'usage des générations présentes» (9) den Kollaps der Zivilisation voraus. Dazu hier ein zusammenfassendes Interview (10).

Drei persönliche Erlebnisse bestärken meine Sorge: Ein in den Medien dauerpraesenter prominenter Klimatologe, der öffentlich einen milden, lösungsorientierten Optimismus verbreitet sagte uns vor mehr als drei Jahren in privatem Rahmen, dass er nach wissenschaftlichem Ermessen für die Menschheit keinen Ausweg aus dieser Falle mehr sehe.

Und ca. 1973, das heisst kurz nach dem ersten Bericht des Club of Rome, hatte ich einen lebhaften Traum. Ich stand am Rande einer mittelgrossen Kiesgrube, die teils locker renaturiert war. Dort unten zwischen Büschen, in vielleicht zwanzig Metern Distanz war eine kleine Gruppe von nackten ganz grünen Menschen, etwa drei an der Zahl, wohl erwachsen, aber nicht alt. Sie bemerkten mich nicht und sagten zueinander von sich "Wir sind die letzten Menschen". Ich hielt das für einen bedeutungsvollen, einen sog. "grossen" Traum, konnte damit rational nicht viel anfangen und brachte ihn höchstens hypothetisch mit der Umweltsituation in Verbindung. Aber immerhin pflegte C.G.Jung einen Rabbiner zu zitieren, der geschrieben hatte: "Der Traum ist seine Deutung"...

Mein Vater, Markus Eduard Fierz (1912-2006), theoretischer Physiker der ersten Stunde, kannte Pauli, Bohr, Heisenberg, Einstein, arbeitete und lehrte in Basel, Princeton, am CERN und an der ETH. Er hatte eine grosse Intuition und war ein Virtuose für sog. Fermi-Schätzungen, d.h. dem Abschätzen von Grössen aus unzureichenden Vorgaben (Die berühmte Fermi-Frage war: "Wieviele Klavierstimmer gibt es in Chicago?"). Im Alter wurde er äusserst besorgt über die Umwelt und sagte einen allgemeinen Ökokollaps ab ca. 2020 voraus: Natürlich könne man das nicht aufs Jahr genau voraussagen. Aber wenn es einmal beginne werde es aus mathematisch-physikalischen Gründen sehr rasch bergab gehen. Nachdem ich sowohl Traum als auch Vater jahrzehnte- und jahrelang nicht verstanden hatte, könnten beide am Ende recht behalten. 


Aufschlussreich ist Inhalt und Schicksal eines Artikels von Prof. Jem Bendell (11), des Englischen Hochschullehrers für Nachhaltigkeit, der aufgrund einer grossen Literaturübersicht vertritt, dass die Umweltsituation ausser Kontrolle und unumkehrbar sei. Schon im nächsten Jahrzehnt müsse man mit grossen Krisen, ja mit beginnender Auflösung der Zivilisation rechnen. Dieser Artikel wurde von einer Fachzeitschrift nicht akzeptiert, weil er nicht genug wissenschaftliche Literatur zum Zivilisationskollaps zitiere (es gibt fast keine) und weil er die Leserschaft erschrecken könnte. 

Bendell, die Schnauze voll von dieser akademischen Korrektheit, veröffentlichte den Artikel im Netz, wo er inzwischen eine halbe Million Mal heruntergeladen und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Dort und in einem Interview kommt er zusammen mit dem Klimatologen Wolfgang Knorr (12) zum Schluss, dass auch die Wissenschaft das Publikum nicht wahrheitsgetreu informiere: z.B. vernachlässigten die Berichte des International Panel on Climate Change (IPCC) die beschleunigte Erderwärmung durch steigende Treibhausgase bzw. durch schwindende Strahlungsreflexion wegen Eisschmelze und seien deshalb durchwegs viel zu optimistisch - die beiden Gelehrten sagen wörtlich: "Science is letting down humanity". 

Tatsächlich wird die Katastrophenperspektive überall ausgeblendet: Zwar warnen Wissenschaftler und teils auch Medien seit fünfzig Jahren, aber regelmässig nur sektoriell, vorsichtig und objektiv abgewogen. Mal redet einer von schwindenden Gletschern, ein anderer bespricht die Zukunft des Wintersports, einer berichtet über Insektenschwund, noch einer studiert die Bienen, ein anderer das Gift in den Gewässern, weitere warnen vor den Temperaturen in den Städten, andere betrachten Ernteausfälle oder erforschen Migrationsgründe. Sie haben die Teile in der Hand, aber für die Erkenntnis, dass alles zusammen auf eine selbstverstärkende globale Katastrophe herausläuft fehlt leider das geistige Band. Und so fehlt auch der dringend angebrachte Bezug auf unser eigenes Schicksal und jeglicher Alarmismus. Einig sind sie sich nur darin, weitere Forschung und Geld zu fordern. Und das bewilligen die Politiker nur allzu gern, wenn sie nur sonst untätig bleiben können. 

Haben die Wissenschaftler Angst vor dem eigenen Mut? Fürchten sie Verlust von Kredit und Krediten in der Öffentlichkeit, Verlust der Sendefenster in den Medien, Verlust von Ansehen bei den Kollegen, wenn sie den Klartext redeten, der angebracht wäre und der wehtäte?

Die Weigerung, reinen Wein einzuschenken vermeidet zwar Erschrecken und Depression bei den Adressaten, hat aber die fatale Folge, dass diese sich weiter an die Hoffnung des Weiter-So und klammern. Erst Erschrecken und Depression würden den Weg zu radikalem Umdenken schaffen.


Lange war mir ein Rätsel, wie ein zweifellos so gescheiter, beredter und gebildeter Mann wie Herr Nationalrat Köppel behaupten kann, dass sich die Klimawissenschaft irre. Beim Schreiben dieses Texts ist mir etwas eingefallen: In der praktischen Tätigkeit als Arzt habe ich erfahren, dass einem fast immer geglaubt wird, wenn man deutsch, deutlich und direkt sagt, was Sache ist. Könnte es sein, dass Nationalrat Köppel und andere Skeptiker dumpf und ganz richtig spüren, dass etwas mit den IPCC- und anderen Berichten nicht stimmt und dass sie diese deshalb nicht glauben? Ausgeschlossen scheint das nicht.  

Die fragmentierte Betrachtungsweise finden wir nicht nur bei Wissenschaftlern, sondern auch bei den Besorgten und Grünen. Diese predigen gutgemeinte Einzelmassnahmen wie Vegetarismus oder Plasticverzicht, verschweigen aber fast durchgehend, dass das niemals genügt - man will schliesslich die Wähler nicht verschrecken. Nur die Kinder und die Narren sagen die Wahrheit und führen verzweifelte Kreuzzüge... 

Alle zusammen blenden die Bevölkerungsfrage aus, aber sowieso werden sie überstimmt von den dumpfen Mehrheiten, die Trump, Bolsonaro und Morrison wählen, jene Politiker, die im Grunde schon das Ende der Zivilisation ankündigen. Dazwischen die "gesunde" Mitte der meinungslosen Konsumbürger, der Medien, welche Tatsachen als Meinungen in Frage stellen und der quallenartigen Politiker, die nach Umfrageergebnissen navigieren. Das Resultat ist eine bewegungsunfähige Masse, die in Wellness narkotisiert auf die Katastrophe wartet, wie die Weihnachtstruthähne auf ihrer Truthahnfarm. Ein Arzt, der eine kritische Situation derart nachlässig handhabt landet vor Gericht und im Gefängnis

Was kommen wird zeigt schon jetzt der Nahe Osten mit Hitze, Dürre, Hunger, Staatszerfall, Willkürherrschaft, Seuchen, Krieg und Massenmigration. Das wird sich schubweise auf weitere Regionen und bis zu uns ausbreiten. Besonders störanfällig sind komplexe Systeme wie Grossstädte, Grossverteiler, Hochkultur, Geldwert, Banken, Finanzcasino, Fernverkehr, Altersvorsorge oder Rechtssicherheit. Das Gerede von Menschenrechten und Klimagerechtigkeit wird als Hohn auf der Strecke bleiben. Wir sind in einer suizidalen Kultur mitgefangen und mitgehangen.

Mittlerweile warnt sogar der Generalsekretär der UNO (13), dass wir nur noch bis 2020 haben, um ein Kippen der Situation zu vermeiden. Und doch gibt es kaum eine Reaktion. Protestierende werden eingesperrt oder ausgewiesen. So entsteht die nächste Frage: Wenn wir uns nicht retten wollen oder können, was dann? 

Dann heisst dies das Ende mancher Nationen, mancher Kulturen, vielerorts der Menschlichkeit, Massensterben von Menschen und grosser Teile der belebten Welt, vielleicht überhaupt das Ende der Menschheit. Manch alter Mensch beschäftigt sich mit seinem individuellen Ende. Im Mittelalter gab es sogar die Kunst des Sterbens (Ars moriendi), welche auf einen guten Tod vorbereiten sollte und auf die vier letzten Dinge - Tod, Gericht, Himmel oder Hölle. Immerhin konnten sich Sterbliche mit Nachfahren trösten, welche ihre Ideale, ihr Können, ihre Kultur und ihre Gene weiterführten. Dem Tod der Zivilisation fehlt dieser Trost. Aber irgendwie müssen wir die Haltung zum Tod des Individuums in eine zum Tod der Zivilisation übersetzen. 


Robert Bringhurst and seine Partnerin Jan Zwicky, zwei kanadische Naturwissenschafter, Philosophen und Dichter meinen in ihrem Büchlein  "Learning to die - Wisdom in the Age of Climate Crisis" (14), dass, wenn überhaupt, höchstens einige Menschen das sechste Massensterben überleben dürften, nicht überleben werde aber unsere Zivilisation. Und danach werde niemand von Plato, Bach oder Rembrandt wissen. 

Bringhurst ist kenntnisreicher Buchautor über
Mythen und Kultur der Amerikanischen Ureinwohner (15). Er beschreibt, wie diese sich als Teil einer Natur verstanden, die man nicht dominieren kann. Fremd sei ihnen die abendländische Einstellung, welche die Natur dominieren will, ausgedrückt schon in der Genesis 1:28 "Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht", jene Einstellung also, die eigentlich der Grund für unsere Katastrophe ist.  

Zwicky fragt, welche moralischen Qualitäten wir am Ende unserer Zivilisation bräuchten. Es seien die Qualitäten, die es seit jeher im Leben gebraucht habe: Erkenntnis und das Wissen, dass diese begrenzt sei, Bescheidenheit, Mut, Selbstkontrolle, Gerechtigkeit, Geduld und Barmherzigkeit. Bescheidenheit brauche es, um das Ego aus dem Weg zu räumen, erst das gebe den Mut, den Tatsachen in die Augen zu blicken. Und Mitleid brauche es für jene, welche den Tatsachen nicht in die Augen blicken könnten. Ohnehin seien die eigenen Handlungen und die der anderen nur Gesten in der Luft, die verschwänden wie Musik. Wie die bisherigen Massensterben werde auch das jetzige irgendein Leben zurücklassen, Leben aus dem anderes entstehen werde.  

Diese Streiflichter müssen genügen, aber dieses Büchlein zeigt, dass man das ganze Problem auch ganz anders ansehen kann, als mit Abwehr, Panik, Massnahmenkatalogen und erhobenem Zeigefinger, nämlich mit philosophischer Gelassenheit.  

Wenn das Lebensende des Individuums unausweichlich ist und nur noch aus Leiden besteht, dessen Sinn schwer einsehbar ist, so stellt sich die Frage der Sterbehilfe, die heute manchmal praktiziert wird. Diese Frage wird sich auch stellen, wenn Gesellschaften in Hunger, Seuchen, Plünderung und gegenseitigem Totschlag zugrunde gehen. Die Idee ist nicht neu, im Endzeitroman "On the Beach" 1957 (16) lässt Nevil Shute die letzten Überlebenden des Atomkrieges sich mit Zyankali umbringen, um diesen Endstadien zu entrinnen. 

Es geht auch darum, wie man die letzten Stunden gestaltet: Als die Kinder des von 
Janusz Korczak geführten Waisenhauses (17) das Warschauer Ghetto verlassen mussten gaukelte er ihnen einen Ausflug aufs Land vor und zog sie so schön wie möglich an. Korczak ging mit, vor dem Zug der zweihundert Kinder spielte ein Bub die Geige, händchenhaltend, geschmückt und singend zogen sie zu den Viehwagen, die sie in Treblinka abladen sollten zur unverzüglichen Vergasung. Le style c'est l'homme.


 Weiterführende Hinweise und Literatur:

  1. Wadhams, P. (2016) A Farewell to Ice, Oxford University Press, Oxford.
  2. https://edition.cnn.com/2019/10/30/world/rising-sea-cities-study-intl-hnk-scli-sci/index.html
  3. https://lukasfierz.blogspot.com/2019/07/redet-endlich-klartext-holocaust-2.html
  4. https://lukasfierz.blogspot.com/2019/08/wassermangel.html
  5. https://lukasfierz.blogspot.com/2019/05/wie-biosysteme-kippen.html
  6. https://lukasfierz.blogspot.com/2019/05/wir-sind-zuviele-ein-tabu.html
  7. https://www.theguardian.com/environment/2019/may/18/climate-crisis-heat-is-on-global-heating-four-degrees-2100-change-way-we-live
  8. Roy Scranton: Learning to Die in the Anthropocene, City Light Editions 2016
  9. Pablo Servigne und Raphaël Stevens : Comment tout peut s'éffondrer- Petit manuel de collapsologie à l'usage des générations présente, Seuil, 2015
  10. https://www.letemps.ch/societe/pablo-servigne-faut-faire-deuil-monde-ecrire-une-nouvelle-histoire
  11. https://www.lifeworth.com/deepadaptation.pdf
  12. https://jembendell.com/2019/07/31/climate-scientist-speaks-about-letting-down-humanity-and-what-to-do-about-it/
  13. https://www.un.org/sg/en/content/sg/statement/2018-09-10/secretary-generals-remarks-climate-change-delivered
  14. Richard Bringhust and Jan Zwicky: Learning to Die – Wisdom in the Age of Climate Crisis, University of Regina Press, 2018
  15. Richard Bringhurst: A story as sharp as a knife, Douglas & McIntyre, 2011
  16. Nevil Shute: On the Beach, Vintage, 2010
  17. https://de.wikipedia.org/wiki/Janusz_Korczak

Sonntag, 11. August 2019

Warum dieser Blog?

(aktualisiert 11.11.2019)

Der Grund für diese Blog-Artikel ist folgender: Ich habe ab ca. 1974 politisiert und die Grünen mitbegründet. Aber ab 1991 habe ich aufgegeben, weil ich den Eindruck hatte, dass wir damit keine Wirkung hatten, und dieser Eindruck blieb bis im Frühjahr 2019.

Dann bin ich mit meinen 78 Jahren zweimal an Klimademos gegangen, hauptsächlich dabei waren Kinder und Jugendliche von 12-18 Jahren (bei der 68-er Bewegung waren es Studenten). Es war rührend und traurig zugleich, hier erstmals die breite Reaktion zu sehen, die nach dem ersten Bericht des Club of Rome 1972 so nötig gewesen wäre, die aber nicht stattgefunden hat.



Dann wurde berichtet, dass die Jugendlichen in Vollversammlungen wieder dieselben Fragen diskutieren, die wir bei den Grünen in den Achzigerjahren auch diskutiert hatten. Ich habe damals manche dieser Sitzungen organisiert. 

Da dachte ich, ich schreibe mal auf, was ich noch weiss und inzwischen herausgefunden habe. Viele Beiträge sind zuerst in anderen Gefässen erschienen, wie Tages-Anzeiger, Inside Paradeplatz, Bieler Tagblatt, Infosperber, Journal21 u.a.   

Lukas Fierz 

Samstag, 27. Juli 2019

Redet endlich Klartext: Holocaust 2 (*)


(Erschienen in Bieler Tagblatt vom 17.8.2019, aktualisiert 31.7.2021)

Alle reden von Klimawandel, ein Begriff ohne Richtung oder Bedrohlichkeit, der eigentlich vernebelt, was Sache ist. Besser wäre "Klimaerwärmung", aber auch das ist noch zu angenehm. Treffender vielleicht "Klimaerhitzung". Immerhin kann Hitze schon beeinträchtigen. Aber trifft das den Sachverhalt?

Fossil by Heartless Machine (9)
Jede Sekunde wird die Erde mit der Energie von drei bis sechs Hiroshimabomben aufgeheizt (3). Vor dem Pariser Klimaabkommen von 2015 wurde davon gefaselt, den Temperaturanstieg bis ins Jahr 2100 auf 1,5 Grad zu begrenzen, aber selbst bei dessen Erfüllung würde die Temperatur um 2,4 Grad steigen. Weil sich niemand daran hält gehen die offiziellen Prognosen von 3,2 Grad Globalerwärmung bis 2100 aus. Deshalb musste man schon 2017 die 1,5 Grad auf Mitte unseres Jahrhunderts vorverschieben und 2018 hat das IPCC die 1,5 Grad offiziell auf 2040 vorverlegt (4)

Aber selbst dieser dramatische Bericht blendet aus, dass der Temperaturanstieg durch die weiter steigenden Treibhausgase weiter beschleunigt wird: Die 1,5 Grad sind schon 2030 oder vorher zu erwarten, wie die angesehene Zeitschrift Nature schreibt (5), eine Vorverlegung um sieben Jahrzehnte innert ca. sieben Jahren! Und das abschmelzende Poleis wird diese Effekte wegen verminderter Reflexion um 20 oder mehr Prozent verstärken, auch das nicht im IPCC-Bericht. 

Mit anderthalb Grad Erwärmung gehen 70-90 Prozent aller Korallenriffe zugrunde. Der nächste Schritt, die zwei Grad  zerstören 99 Prozent der Korallenriffe, in Südeuropa wird der Anbau von Zitrusfrüchten, Oliven und Wein unmöglich. Teile des Mittleren Ostens und Nordafrikas (6) sowie Südostasiens werden hitzebedingt unbewohnbar. Jede erreichte Erhitzung ginge sogar bei stabilisierten Treibhausgasen während Jahrzehnten weiter. Fatale Selbstverstärkungs- und Kippmechanismen können jederzeit dazukommen, soweit sie nicht schon jetzt ablaufen. Teils unabhängig und ebenso bedrohlich ist das galoppierende Artensterben durch Lebensraumzerstörung, Chemie und Hitze sowie der zunehmende Trinkwassermangel, alles verschärft durch unkontrolliert steigende Bevölkerung. Der Deutsche Bundesnachrichtendienst rechnet mit einer Milliarde Menschen, die flüchten und sich bekriegen werden, und das ist ja nur der Anfang, danach wird zusammen mit Zivilisation und Menschenrechten auch ein Grossteil der Biosphäre untergehen. 


Der Klimaforscher Prof. Joachim Schellnhuber benannte sein Buch "Selbstverbrennung" (7), David Wallace-Wells das seinige "Die unbewohnbare Erde" (8,9). Darum geht es doch, dass wir durch Gier, Dummheit und Herdentrieb alles zerstören, Mensch und Natur durch Hitze, Gift und Dürre. Der englische Guardian will deshalb nicht mehr von "global warming" reden, sondern nimmt Greta Thunbergs Vorschläge auf wie "Klimazusammenbruch", "Klimakrise", "Klimanotstand", "ökologische Krise" etc (10). E.O.Wilson redet vom "Zusammenbruch des Ökosystems" (11).  Nur bezeichnen alle diese Ausdrücke etwas abstraktes, etwas ausserhalb liegendes, etwas wie eine Überschwemmung oder eine Lawinenkatastrophe, dem man sich stellen kann. Sie machen nicht bewusst, dass damit alles endet.   


Seit Jahren bringt die Neue Zürcher Zeitung mit schöner Regelmässigkeit alle paar Monate sehr anschauliche und präzise Artikel zum Holocaust. 
Wohlig gruselnd wird mit Fingern auf die Bösewichte gezeigt, auf die Ausschaltung der Menschlichkeit durch Hunger, Waffen, Gift und Krematorien, und - ach, sagen sich die Bürger in ihren Pantoffeln, wie sind wir doch so gut... Aber ich wundere mich, wieso gilt die gleiche Anschaulichkeit und Präzision nicht für die  kommende Ausschaltung von Menschlichkeit und Zivilisation durch Hunger, Flucht, Krieg, Umweltvergiftung und globale Verbrennung? Was vor uns liegt ist der Holocaust 2, diesmal mit grauenhaften Folgen nicht nur für Mensch und Menschlichkeit, sondern für die ganze Biosphäre. Genauso vorsätzlich wie der erste Holocaust, denn Ursachen und Folgen sind bekannt und sichtbar. Aber in Ausmass und Vollständigkeit der Auslöschung um Grössenordnungen schlimmer. All das hat schon begonnen, und derweil streiten wir uns um Cannabisfreigabe, COVID, Gendersprache, Krankenkassenbeiträge und Pensionsalter, wie wenn das daneben noch irgendeine Rolle spielte. 


Nein, es ist nicht eine Klimaveränderung, es ist der Holocaust 2. Und ja, wir können totschweigen, einsperren und des Landes verweisen, wer dagegen protestiert. Aber das löst das Problem genau so wenig, wie das feige Augenverschliessen vor der Realität.   

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(*) Es wurde verschiedentlich bezweifelt, ob der Ausdruck "Holocaust 2" (aus dem Griechischen, eigtl. Totalverbrennung) zulässig sei. Ich habe diesen Text deshalb einem Halbjuden und einem Zigeuner vorgelegt, welche beide in Auschwitz Angehörige verloren hatten und somit befugt sind, zu urteilen. Beide bejahten, dass der Ausdruck treffe und gebraucht werden dürfe. 

Vorauszuschicken ist, dass der Begriff Holocaust schon lange vor den Nazis, d.h. seit 1600 gebraucht wurde. Von solchen, die den Ausdruck ablehnten wurde verschiedenes  vorgebracht: Es wurde behauptet, der erste Holocaust sei eine industrielle Vernichtung gewesen, der zweite nicht. Ja, aber ist der zweite nicht industriell par excellence, nämlich überhaupt eine Folge der Industrialisierung? Es wurde auch behauptet, der erste sei absichtlich gewesen, der zweite nicht. Ja, aber wusste nicht Exxon Jahrzehnte vor den Grünen, dass der Treibhauseffekt in die Katastrophe führe und finanzierte trotzdem Desinformationskampagnen mit Hunderten von Millionen Dollars? Und die Koch Brothers und alle die bestochenen "Experten", und die Redaktionen, die nicht auf die Wissenschaft hören oder sie verunglimpfen (es ist doch schon kurios: Wenn die Ingenieure und Physiker Brücken, Eisenbahnen, Flugzeuge, Kraftwerke berechnen, anvertrauen wir ihnen diskussionslos unser Leben, nur wenn sie vom Klima sprechen soll alles gelogen sein, da stimmt doch etwas nicht)? Es wurde eingewendet, der erste Holocaust sei bewusst betrieben worden, und der zweite sei ja "unbewusst": Mir scheinen die Unterschiede klein, auch nach dem zweiten Weltkrieg hiess es bekanntlich überall in selbstbemitleidendem Ton "davon haben wir ja alle nichts gewusst", obschon sehr viele von den öffentlich sichtbaren Enteignungen und Vertreibungen profitiert hatten, wie der Historiker Götz Aly nachgewiesen hat, und obschon mindestens Hunderttausende wennnicht Millionen von Soldaten von den Massenerschiessungen im Osten wussten, soweit sie nicht überhaupt Zeugen oder Täter waren. Genauso jetzt: Die meisten "wissen von dem ja überhaupt nichts", obschon die Informationen frei zugänglich sind, und viele Jugendliche es auch ganz genau wissen. Es wurde auch eingewendet, das besondere am ersten Holocaust sei der Rassenwahn gewesen, - aber der zweite, wird der nicht auch wegen einem Wahn geführt? Diesmal Wachstumswahn oder Konsumwahn, dafür sind die Konsequenzen noch entsetzlicher. Es wurde gesagt, der erste sei so besonders, weil er spezifisch gegen Juden und Zigeuner geführt worden sei. Soweit so gut, aber auch der zweite betrifft genauso Juden und Zigeuner, und das noch totaler als der erste, darin sind sie deckungsgleich, nur betrifft der Holocaust 2 jetzt alle anderen auch, incl. der ganzen Biosphäre. Der erste ist in diesem Sinne lediglich eine Teilmenge des zweiten. Manchmal ging die Argumentation auch in irrationale Polemik über, z.B. sei die Verwendung des Ausdrucks Holocaust rassistisch, oder man pöbelte gegen den Autor als Überbringer einer schlechten Nachricht. 

Das ist alles Spiegelfechterei,man streitet um Worte, um sich der Sache nicht stellen zu müssen. Die Frage ist doch, ob man das uns bevorstehende Grauen überhaupt adaequat benennen darf und kann. Und da scheinen alle anderen Worte zu sauber, zu objektivierend, - kurz ungenügend, um das bevorstehende Staatsversagen und den sicheren Untergang von Menschlichkeit und Zivilisation zu fassen. Überwiegend hatte ich in diesen Diskussionen den Eindruck, dass man sich gegen den Ausdruck wehrt, um sich unter einem zimperlich-schöngeistig-ethischen Mäntelchen vor der Realität zu drücken - und lalala, schon hat alles keine Dringlichkeit mehr, wir können zur Tagesordnung übergehen: Schule halten wie bisher, einkaufen wie bisher, arbeiten wie bisher, die Autobahnen und Flughäfen weiter ausbauen und müssen uns der Situation nicht stellen. Lieber lassen wir doch alles in der Vernebelung, oder?... Genau diese Haltung hat uns in diese Situation gebracht.
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(1) https://www.youtube.com/watch?v=_7bs7ShEVHM&t=35
(7) https://www.exlibris.ch/de/buecher-buch/deutschsprachige-buecher/hans-joachim-schellnhuber/selbstverbrennung/id/9783570102626
(8) https://www.exlibris.ch/de/buecher-buch/deutschsprachige-buecher/david-wallace-wells/die-unbewohnbare-erde/id/9783453281189
(9) http://nymag.com/intelligencer/2017/07/climate-change-earth-too-hot-for-humans.html
(10) https://www.theguardian.com/environment/2019/may/17/why-the-guardian-is-changing-the-language-it-uses-about-the-environment
(11) https://lukasfierz.blogspot.com/2019/07/klimaerwarmung-wassermangel.html

Freitag, 5. Juli 2019

Klimaerwärmung-Wassermangel-Artensterben: Ursache

Bilanz des weltberühmten Biologen E.O.Wilson

(Bericht und Interview von Marian Starkey in Population Connection Magazine Juni 2019, gekürzt)

Ich verbrachte eine schlaflose Nacht damit, auf das Interview mit ihm zu warten, Prof.Edward Osborne Wilson,  40 Jahre lang Professor an der Harvard Universität, Träger von über hundert Preisen, Autor von 35 Büchern und über 400 wissenschaftlichen Artikeln, weltweit führende Autorität der Ameisenforschung und Denker über Biologie, Evolution und Gesellschaft.

Meine Einschüchterung war unbegründet, er begrüsste mich mit einem warmen Lächeln. Wilson war gerade 90 geworden und versucht zur Zeit, sich an einen Stock zu gewöhnen, den er aber gar nicht nötig zu haben scheint. Er ist witzig, gut gepflegt und aktiver als viele andere Leute, die gerade das College abgeschlossen haben. Er braucht ein iPhone und zum Mittagessen hatte er Avocado-Toast gegessen. Abgesehen von äusseren Alterserscheinungen könnte er auch 30 Jahre alt sein. Im Grunde ist er ein «Millenial», der in den Körper eines Neunzigjährigen geraten ist.  Wilson ist mein neues Vorbild für das Pensionsalter.

Wilson, so bescheiden er auftrat, hatte viel über den Druck der Menschen auf die Umwelt zu sagen und darüber, wie wir versuchen sollten, aus dem Chaos herauszukommen, das wir angestellt hatten:

«Ich denke, das Epizentrum all unserer Umweltprobleme ist das außer Kontrolle geratene Bevölkerungswachstum. Ich weiss, besonders im Buch «Die Hälfte der  Erde», war ich optimistisch, dass sich das Übervölkerungsproblem von allein löse. Aber das Problem bleibt, es kommt von zuvielen Kindern, vom Verlangen zuvieler Leute in zuvielen Ländern nach höherem Lebensstandard. Und deshalb kann die Welt nicht in den Zustand kommen, in den sie kommen sollte.»

Er entschuldigte sich, dass er wie ein Harvard-Professor in der Vorlesung rede, um dann die aktuell kritischen Umweltprobleme zu identifizieren. Aber vorher müsse er wiederholen, dass das Bevölkerungswachstum der zentrale und wichtigste Treiber der Umweltprobleme sei, unter denen es  drei Hauptkrisen gebe: Die Klimaerwärmung, den Wassermangel und das Artensterben.     

«Alle drei Krisen haben als Hauptursache die menschliche Übervermehrung. Neben der Klimaerwärmung droht der Mangel an Frischwasser:  Etwa 4% des Wassers in der Welt sind  in Seen und Flüssen. Dieses Wasser geht rasch zur Neige, und das ist in einigen Teilen der Welt eine Hauptursache für Migration. Die dritte Krise ist das Massensterben von Arten. Wir wissen nicht genau, wie sich Ökosysteme bilden, was sie stabil macht oder wie sie sich anpassen. Wir können nicht voraussagen, was passiert, wenn eine unscheinbare kleine Tierart herausgenommen wird. Man kann das nicht einmal erraten.»

Wilson glaubt, dass die Erforschung von Ökosystemen das "nächste große Ding in der Biologie" sind, sie sind jetzt sein Forschungsschwerpunkt. Zu seinen Stärken gehört es, Wissenschaft für Laien zugänglich zu machen. Und das sei nötig, denn ohne weitverbreitete Besorgnis über die Umweltkrise werde kein politischer Wille zur Lösung entstehen.

«Wir brauchen einen Begriff, der die baldige grosse Wirkung ausdrückt: Ich nenne es den Zusammenbruch des Ökosystems. Das können die Leute verstehen. Dies bedeutet den Zusammenbruch von Arten, die für den Erhalt von natürlichen Ökosystemen und oft auch für die menschliche Existenz unerlässlich sind, z. B. für die Wasserscheidenwälder oder für fruchtbares Ackerland. Wir möchten die Menschen dazu bringen, über Dinge zu sprechen, die sie selber verstehen und die sie selbst als potenziell zerstörerisch ansehen können. Die Menschen machen sich keine Sorgen, solang sie glauben, dass die Menschheit das Recht hat, die natürliche Welt zu kontrollieren und dass diese Kontrolle unseren Wohlstand und unsere Sicherheit befördert. Aber das Gegenteil ist der Fall.  Und das sollte selbst Menschen beunruhigen, die sonst nur über ihr Privatleben nachdenken und über die persönlichen Möglichkeiten, die sie haben oder nicht haben.»

Wilson glaubt, dass die Stärkung der Stellung der Frau zur Lösung des Bevölkerungsproblems beitragen kann.

«Sobald Frauen irgendwie eine Unabhängigkeit erlangen, neigen sie dazu, die Anzahl ihrer Kinder zu verringern. Das ist  psychologisch und kommt auch aus der Erkenntnis, dass sie und ihre Familie so ein besseres Leben haben werden. Man kann sich fragen - sollen Nationen eine Bevölkerungspolitik haben? Sollen Religionen eine Bevölkerungspolitik haben? Aber es scheint mir, dass man sich am Rand faschistischer Ideen bewegt,  wenn man den Menschen sagt, wie viele Kinder sie haben dürfen. Das würde die gesamte Natur der Gesellschaft verändern.

(Übersetzung: Lukas Fierz)


Freitag, 3. Mai 2019

Umweltkrise braucht anderes Wirtschaften

Ein Team finnischer Biophysiker studierte die gesellschaftlichen und wirtschaftliche Herausforderungen durch die Umweltkrise und Lösungsansätze (für die Originalarbeit Link anclicken, viele Literaturangaben). Die Studie wurde durch den damaligen UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon in Auftrag gegeben und soll in einen UN Global Sustainable Development Report 2019 (GSDR) einfliessen, der unseres Wissens noch nicht veröffentlicht ist. Wir fassen die Studie zusammen: 
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Die Zeit billiger Energie und Entsorgung ist vorbei. Und die Klimaerwärmung ist nur eines unter vielen bedrohlichen Problemen als da sind Artenverlust, zunehmende Ungleichheit und Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Inflation. Schon allein die Lösung des Klimaproblems braucht massive wirtschaftliche und gesellschaftliche Umstrukturierungen, vor allem in den Bereichen Energie, Transport, Ernährung und Siedlungsstruktur, die im folgenden skizziert werden sollen:  

Energie: Fossile Brennstoffe ca. 80 Prozent der global verbrauchten Primärenergie. Für konventionelle Ölförderung ist peak oil schon eingetreten, Mehrproduktion kommt nur vom umweltschädlichen und weniger effizienten Fracking. Sowieso müssen wir raschestmöglich von fossilen Brennstoffen wegkommen.  Diese können wir nicht vollständig mit nachhaltiger Energie zu ersetzen. Es braucht  massive Einsparungen und  dezentrale intelligent-vernetzte Produktion. 
Das Ende der Ölzeit
Transport: Siedlungen müssen verkehrsarm geplant werden, z.B. durch Annäherung von Wohn- und Arbeitsorten. In Städten und Siedlungen muss Fuss- und Fahrradverkehr dominieren. Der verbleibende öffentliche und halböffentliche Verkehr in und zwischen Siedlungen muss elektrisch werden. Alle Transportvorgänge, vor allem der internationalem Luft- und Frachtverkehr müssen reduziert werden, soweit sie nicht CO2-frei möglich sind. 
      
Ernährung: Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen und Transporte zu reduzieren sollten alle Länder eine diversifizierte Selbstversorgung fördern. Milch- und fleischbasierte Ernährung muss auf pflanzliche umgestellt werden. 

Bauten: Das Bauen mit Beton und Stahl ist energie- und treibhausgasintensiv. Dagegen können Holzbauten O2 binden. Energieverbrauch und Immissionen von Heizung und Kühlung müssen baulich minimisiert werden. 

Auch ein scharfes Carbon-pricing genügt nicht mehr, um diesen Umbau in nützlicher Frist zu erreichen. Sehr vorsichtig wird in der Studie geäussert, dass bisherige neoklassische (d.h. auch neoliberale) wirtschaftliche Theorien und Instrumente die anstehenden Probleme nicht meistern können. Wie beim Apollo-Programm brauche es staatliche Anstrengungen, ähnlich einem Marshallplan, z.B. mit zielorientierten Beschäftigungsprogrammen und Finanzierungen. Vieles ist auf nationalstaatlicher Ebene nicht zu lösen. Anstoss und erste Schritte müssten von einer Gruppe oder Gruppen fortschrittlicher Staaten kommen, die sich zu einem Aktionsbündnis zusammenschliessen. 
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Hier noch ein Bericht und Kommentar über dasselbe im Englischen Independent, mit mehr Klartext, nämlich, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung in der bisherigen Form versagt:

https://www.independent.co.uk/news/long_reads/capitalism-un-scientists-preparing-end-fossil-fuels-warning-demise-a8523856.html




Dienstag, 30. April 2019

Verneigung vor Greta

Seit dem ersten Bericht des "Club of Rome" 1972 und seit dem Buch von Paul Ehrlich "The Population Bomb" 1968 war klar, dass die technokratische Wachstumsphilosophie eine Sackgasse ist. Zwar hat die grüne Revolution die Erträge verdoppelt und die Bevölkerungsbombe für eine Generation entschärft, aber das Problem ist nicht aufgehoben. Seit dem Jahr 2000 wurde auch immer klarer, dass die Klimaerwärmung ein ernstes Problem wird.

In der Schweiz etablierte sich seit den Siebziger- und Achtzigerjahren eine Grüne Partei, die versuchte, Antworten auf die neuen ökologischen Herausforderungen zu finden und anzubieten, zuerst durchaus im Rahmen liberal-bürgerlicher Vorstellungen. Von Anfang an wurde man von der bürgerlichen Presse - sofern man nicht überhaupt ignoriert wurde - systematisch lächerlich gemacht und als "links" abgestempelt, was zumindest in den Anfängen nicht zutraf. Die linken Kreise schauten dagegen die neue Konkurrenz scheel an. Der politische Effekt blieb eigentlich bis 2018 fast bei Null, obschon man schon 2015 zum Schluss kommen musste, dass die Klimaerwärmung das einzige Problem ist, auf das es jetzt noch ankommt. Lieber beschäftigten sich Medien und Öffentlichkeit mit Genderismus, Kopftüchern und anderen Nebensächlichkeiten.


Greta Thunberg streikt


Greta Thunberg, das 16-jährige Mädchen mit den Zöpfen hat geschafft, was die Grüne Bewegung seit vierzig Jahren nicht geschafft hat: Das Thema der zusammenbrechenden Umwelt auf den Tisch zu zwingen. Ihre Idee des Schulstreiks hält den Erwachsenen ihre Pflichtvergessenheit im Spiegel vor. Niemand kann ausweichen.

Die "Autoritäten", die das Problem weiterhin ignorieren wie Roger Köppel, Henryk M.Broder, Pater Martin Rhonheimer  oder die Redaktoren der WELT und der NZZ vermuten hinter Greta und ihrer Bewegung Manipulation, Fremdsteuerung und Kindsmissbrauch und reagieren entsprechend mit Kopfschütteln, Herablassung, Mitleid, selbstgerechter Empörung oder Hohn.

Wer dagegen das Problem sieht kann sich nur dankend verneigen.


Mittwoch, 24. April 2019

Unbestechliche Temperaturen

In der Klimadiskussion wird allzu oft über Interpretationen und Personen diskutiert, gegen die dann allerlei Verdächtigungen und Angriffe geäussert werden, grotesk z.B. Köppels Angriff gegen Prof.Knutti von der ETH

Besser würde man sich an die gemessenen Rohdaten halten, die so unbestechlich sind wie eine Fiebermessung.  Temperatur kann man schliesslich seit dem 17. Jahrhundert (Galilei) messen, und zuverlässig vergleichbare Temperaturmessungen gibt es seit dem 18. Jahrhundert. 

In der Schweiz werden an verschiedenen Messtationen seit ca. 1860 kontinuierlich die Temperaturen gemessen. Die gemittelten Messungen dieser Stationen zeigt diese Tabelle:

Von 1865-1920 sieht man von Auge keine wesentliche Tendenz. 1920-1980 scheint es zwar durchschnittlich wärmer als in der Vorperiode, aber innerhalb dieses Zeitraums ist kein deutlicher Anstieg festzustellen. Ab 1960 gesehen zeigt sich allerdings ein brutaler und anhaltender Anstieg.   

Ähnliche Kurven gibt es für die ganze Welt, dann ist aber oft auch Meer dabei. Die Lufttemperatur über den Meeren steigt weniger rasch, weil das Meer mehr Wärme aufnehmen kann. Für uns Landwesen ist die Temperatur über dem Meer oder die über Land und Meer gemittelte Temperatur weniger interessant, denn für uns zählt die Lufttemperatur über dem Land, welche in der untenstehenden Kurve rot eingezeichnet ist: 


Man sieht, dass die mittlere globale Landtemperatur (rot) in den letzten 50 Jahren um 1,5 Grad angestiegen ist, macht 0,3 Grad pro Jahrzehnt.  

Neuerdings hat man auch Sonden, welche die Meerestemperatur bis in die Tiefe messen. Aus ihnen sieht man, dass der totale Energiegehalt in Luft und Ozean dauernd steigt, selbst wenn Einzelmessungen Dellen aufweisen.

Das sind alles keine Theorien, sondern einfache Temperaturmessungen. 


Jede Bank, jedes Unternehmen, jede Versicherung oder Pensionskasse, jeder Staat versucht, festgestellte Trends in die Zukunft fortzusetzen und daraus zukünftige Entwicklungen abzulesen. Das ist das allernormalste der Welt. 

Wenn wir die globale Landtemperatur linear in die Zukunft extrapolieren, so würde sie von 1970 - 2070 um 3 Grad steigen, wenigstens, solange nicht zusätzliche positive Verstärkungsmechanismen einsetzen: Von diesen gibt es allerdings mindestens zwei gesicherte: Erstens das Abschmelzen des Eises, welches die Wärmereflektion des Globus vermindert und zweitens die zu erwartende Freisetzung des Treibhausgases Methan aus dem Permafrost. Die gemessenen Methankonzentrationen steigen seit vier Jahren auffällig. Beide Selbstverstärkungsmechanismen greifen also schon. Kommt dazu der neuerdings grosse CO2-Ausstoss der dritten Welt. Somit ist eine lineare Extrapolation noch zu optimistisch. 

Man kann diese handgestrickte Schätzung natürlich mit Computermodellen verfeinern. Dabei zeigen diese Computermodelle nur, was man sich schon an den Fingern abzählen kann, einfach verfeinert für verschiedene Annahmen: Die obere rote Kurve zeigt den globalen (über Land und Meer gemittelten) Temperaturanstieg wenn wir mit Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum weitermachen wie bisher. Damit wird die globale Erwärmung bis ins Jahr 2080-2100 3-6 Grad erreichen, über dem Land mehr.

Die untere blaue Kurve zeigt den Verlauf, wenn wir die CO2-Konzentration mit extremstem Klimaschutz bis 2100 auf den heutigen Zustand zurückbringen würden. Das ist
  unrealistisch,  aber auch damit würde die Temperatur noch bis 2050 ansteigen. Rechts in hellrosa das Zielband, das wir mit den bisher getroffenen Massnahmen erreichen können, in hellblau was bestenfalls erreichbar wäre, wenn man entschlossen handeln würde. Die Temperaturen in der Grafik sind wieder über Land und Meer gemittelt. An Land würde es in jedem Fall wärmer. 

Regional und nach Meer/Land modelliert sähe es so aus: Oberste Zeile wiederum mit Zurückbringen der CO2-Konzentration auf den Stand von heute. Unterste Zeile Wachstum wie bisher. Zweite Zeile entschlossenes Handeln, dritte Zeile Verlauf beim heutigen Massnahmenstand.


Deutlich ist, dass die relative Erwärmung an Land deutlich stärker werden soll, als über dem Meer, am stärksten im hohen Norden.

Die Schweiz wird es, ähnlich wie in der Arktis, auch schneller aufheizen als Orte, die keinen Schnee hatten: Wenn es weniger Schnee und Eis hat so gibts weniger Reflexion von Sonnenstrahlung, darum erwärmen sich diese Gebiete besonders stark.