(Nach einem Vortrag vom 3.10.2020, zuerst erschienen im Journal21 vom 20.11.2020, update am 26.8.2021)
Prof. John Schellnhuber, der Berater der Deutschen Kanzlerin und des
Papstes und der Erfinder des Zweigradziels zeigte uns vor drei Jahren sein
Potsdamer Klimainstitut. Am Schluss, in seinem Büro, das einst Einstein benutzt
hatte, meinte er zusammenfassend, er sehe nicht, wie die Menschheit sich noch aus
dieser Klimafalle befreien könne.
Schellnhuber ist ja oft in den Medien, aber das hatte man von ihm
öffentlich nie gehört - Anlass, der Frage nachzugehen, wie ernst es denn tatsächlich
sei.
Ich bin kein Klimaspezialist, aber als Arzt beherrscht man sowieso immer
nur Teilgebiete und notgedrungenerweise muss man auf verschiedene andere
Spezialisten hören und mit ihnen zusammenarbeiten. Auch ist man gewohnt, mit
Ungewissheiten umzugehen: Wenn ein Arzt z.B. eine Operation erwägt, so
schätzt seine Erfolgsaussichten anhand von Alter, Ernährungs- und Kräftezustand
des Patienten, Vorkrankheiten und Moral. Jeder Risikofaktor mindert die
Erfolgsaussicht. Man kann nichts genau berechnen, aber das entbindet nicht von
einer Abschätzung.
In der Klimadiskussion wird oft gesagt, wie schwierig es sei, weil man
nichts genau wisse. Aber auch hier entbindet die Ungewissheit nicht von einer
Abschätzung. Zwar werden wir dabei von allerlei Tabus und Illusionen behindert,
aber ich erzähle mal, was ich herausgefunden habe:
Ich bin in Basel aufgewachsen und dort hängt im Museum der tote
Christus, gemalt von Holbein vor 500 Jahren.
Das Bild hat mich als
junger Mensch tief beeindruckt und ich hatte es jahrelang über meinem
Schreibtisch. Dieser gnadenlos realistische Blick auf unseren Gott, auf seine
Passion und auf unser aller Ende. Ich war und bin überzeugt, dass wir unsere
Handlungen an dem Moment messen müssen, wo wir selber in diesem Zustand sind.
Bis dahin gilt es, das, was wir tun möglichst gut zu tun und keine Zeit zu
verlieren. Und schon sind wir beim ersten Tabu, dem Tod. Weil er im
vorherrschenden Bewusstsein verdrängt ist, kann vieles, was mit ihm
zusammenhängt nicht gesehen werden.
Einige Prinzipien der Medizin...
Ich habe dann in Zürich Medizin studiert, und da konnte man einige Prinzipien
lernen:
- Krankheiten beginnen
oft im Geheimen: Erste Krankheitssymptome sind oft nicht der Beginn,
sondern den letzte Akt. Ein Trinker oder ein Raucher braucht Jahrzehnte, um
Leber oder Lunge zu ruinieren, das geht unbemerkt, weil das Organ kompensieren
kann. Wenn dann Gelbsucht oder Atemnot auftritt, geht es nicht mehr viele
Jahrzehnte, sondern eher Jahre.
- Krankmachende
Faktoren können sich mehr als addieren: Gemäss einer grossen epidemiologischen Studie tritt z.B. pro Monat bei
ca. einem Prozent der Gesamtbevölkerung eine
Depression auf. Kommt ein schwerer Belastungsfaktor (Tod eines
Familienangehörigen, Kündigung, Krankheit etc.) dazu, so gibt es zwei Prozente
mehr, also drei Prozent Depressionen, bei zwei Belastungsfaktoren schon drei
Prozent mehr. Bei drei gleichzeitigen Belastungsfaktoren werden schon 24
Prozent depressiv. Plötzlich multiplizieren sich die Risiken (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9824167/).
- Für Patienten und
Versicherungen müssen wir oft Prognosen über Jahre und Jahrzehnte machen.
Das geht, solange sich Krankheiten treu bleiben: Wenn ein Patient mit Multipler
Sklerose nach zehn Jahren nur ganz leicht behindert ist, wird er wohl auch nach
weiteren zehn Jahren noch nicht im Rollstuhl sein.
- Richtungsändernde
Verschlimmerungen in Krankheitsverläufen z.B. bei Bluthochdruck oder bei Hochdruck im
Auge (Glaucom) erkennt man daran, dass sich plötzlich Höchstwerte in rascher
Folge häufen: Damit tritt die Krankheit in ein progressives Stadium ein und
entzieht sich u.U. der Kontrolle.
- Selbstverstärkende Mechanismen können zu hyperakuter Verschlimmerung führen. Das gefürchtete Beispiel
dafür ist die Verengung der Aortenklappe, der Klappe der Hauptschlagader. Das
Herz erzeugt zunächst mehr Kraft und drückt genug Blut durch die Klappe, die
Patienten können sogar Leichtathletik betreiben. Das geht, bis die Klappe so
eng ist, dass das Herz nicht mehr genug Blut für seinen eigenen Energiebedarf
kriegt, das führt zu Herzversagen und Tod innert Sekunden, Sekundenherztod. Vor
solch selbstverstärkenden Mechanismen haben wir Ärzte panische Angst, weil sie unvoraussehbar
und unbeherrschbar sind.
- Es gibt in unserem
Beruf Autoritäten. Das sind Ärzte, die wiederholt Diagnosen gestellt haben, die alle
anderen verpasst haben. Das spricht sich herum, solche Kollegen haben einen
sagenhaften Ruf, und denen glaubt man mit Vorteil, auch wenn man nicht ganz
nachkommt.
- Schummeln gilt nicht. Wenn Patient stirbt
kommt der Pathologe oder der Gerichtsmediziner. Die sind gnadenlos.
...Angewandt auf die Umweltsituation
1972 wurden wir durch den Bericht des Club of Rome schockiert. Was man
damals wusste hat man in einen Grosscomputer gefüttert. Es kam heraus, dass
sich die Ökosysteme Mitte des 21. Jahrhunderts destabilisieren werden, wenn wir
nicht mit dem Wirtschaftswachstum aufhören und die Bevölkerung auf vier Milliarden
stabilisieren. Der Bericht nennt schon den Treibhauseffekt mit der Hoffnung,
dass man noch eine Lösung finde. Die Modellrechnungen sagten, dass nicht eine
Verknappung an Ressourcen oder an Boden der limitierende Faktor sei, sondern
die Umweltverschmutzung. Alle die, wie z.B. Wirtschaftsredaktor Dr. Eisenring
von der NZZ behaupten, der Club of Rome habe eine Ressourcenverknappung
vorausgesagt und sei deshalb unglaubwürdig (https://www.nzz.ch/meinung/ewiges-wachstum-ist-kein-hirngespinst-ld.1564968), alle, die solches
behaupten lügen, oder sie haben den Bericht nicht gelesen. Später hat der Club
of Rome mit Hängen und Würgen korrigiert, dass es vielleicht mit einer
Erdbevölkerung von 8 Milliarden auch gerade noch gehen könnte, dabei aber
ausdrücklich gesagt, dass man die Folgen der menschlichen Aggressivität nicht
modellieren könne.
1988 stellte James Hansen erstmals fest, dass der Treibhauseffekt sich
in einer nachweisbaren Erderwärmung zeige und er sagte mit einem noch
primitiven Modell die weitere Erwärmung voraus, und zwar bis heute ziemlich
genau. Dieser Mann ist eine Autorität. Wenn er heute die offiziellen Prognosen
und Massnahmen in Frage stellt, muss das zu höchster Sorge Anlass geben.
|
James Hansen wird in Handschellen abgeführt
|
Illusionen zur Erderwärmung
Die Pariser Verträge von 2015 wollten die Temperaturerhöhung gegenüber
dem vorindustriellen Wert auf 1,5 bzw. 2 Grad limitieren. Und Grüne in der Schweiz und in Deutschland reden noch 2021 davon, dass und wie man dieses Ziel erreichen wolle
und da sind wir schon mitten in den Illusionen:
Erste Illusion: Schon bei Abschluss der Pariser Verträge war
klar, dass das 1,5 Grad-Ziel unerreichbar ist. James Hansen - meine Autorität -
spricht von einem fake-Abkommen. Bei Einhaltung aller Abmachungen würde dieTemperatur um 2,4 Grad steigen, über Land mehr. Überdies rechnet das Abkommen
mit grosstechnischer Abscheidung von CO2 aus der Luft, was James Hansen und
andere Experten als illusionär bezeichnen (http://www.columbia.edu/~jeh1/mailings/2018/20181206_Nutshell.pdf, S. 44ff und https://www.nature.com/articles/s41467-018-05938-3).
Zweite Illusion: Nur eine Minderheit der Staaten hält
das Abkommen ein. Damit sind wir gemäss Berechnungen auf einem Weg von 3,2 Grad global bis 2100, d.h. wiederum über Land mehr.
Soweit die gängigen Voraussagen.
Darüber gibt es die dritte Illusion, nämlich, dass das
alles Alarmismus und Hysterie sei.
Noch weiter verbreitet ist die vierte
Illusion, dass die bisher gemachten Aussagen die ganze Wahrheit seien.
Leider trifft das nicht zu.
Fünfte Illusion: Viele denken, der Temperaturanstieg sei
und bleibe linear. Aber dass er immer schneller geht sieht man von blossem Auge:
|
Julitemperaturen seit 1880
|
Sogar das IPCC krankt an dieser Illusion: 2018 verlegte das IPCC den
Anstieg um 1,5 Grad von 2100 auf 2040. Sofort
kam Einspruch von amerikanischen Klimatologen: Das IPCC hatte
vergessen, dass die Treibhausgase ab heute weiter steigen. Damit kommen die 1,5
Grad schon 2030, eine Vorverschiebung von 70 Jahren in einigen Jahren (https://www.nature.com/articles/d41586-018-07586-5). Und das IPCC nimmt
als Ausgangswert für die Erwärmung 1850-1900. Dabei hat diese hundert Jahre
vorher begonnen, und damit haben wir die 1,5 Grad Erwärmung wahrscheinlich
schon jetzt fast erreicht. Mit weiterer Beschleunigung ist zu rechnen.
Die sechste Illusion ist, dass der Treibhausmechanismus
die ganze Story sei. Das wäre schlimm genug, aber es gibt zusätzlich viele
positive Rückkoppelungsmechanismen, welche die Lage verschlimmern. Die gehen
zwar langsam, waren aber nach Hansen in der bisherigen Erdgeschichte immer matchentscheidend (http://www.columbia.edu/~jeh1/mailings/2018/20181206_Nutshell.pdf). Und damit,
dass diese Rückkopplungen jederzeit zu einem Kippen der Situation führen können
wurde das 1,5 bzw. 2-Gradziel überhaupt
begründet. Das IPCC rechnet die Rückkopplungen nicht ein, weil sie nicht genau
voraussagbar seien. Wie einleitend gesagt machen mir als Arzt solche
Rückkopplungen mehr Angst alles andere, weil sie schon einzeln unbeherrschbar
werden können, weil sie alle in die falsche Richtung gehen, und weil sie sich
nicht nur addieren, sondern möglicherweise auch multiplizieren können. Das kann
die Entwicklung auf Jahre verkürzen.
Die siebte Illusion ist, dass die CO2-Konzentration nur
davon abhänge, wieviel wir in die Luft blasen. Nun wurde der CO2-Ausstoss
aber bisher zu knapp einem Drittel vom Ozean aufgenommen, was zwar zu
Versauerung und Problemen für die Meerestiere führte, uns aber entlastete. Nur kann
ein wärmerer
Ozean nicht mehr soviel CO2 aufnehmen (https://www.weforum.org/agenda/2019/03/oceans-do-us-a-huge-service-by-absorbing-nearly-a-third-of-global-co2-emissions-but-at-what-cost).
Ähnlich die Bäume und die Vegetation an Land und im Ozean: Sie nahmen
bisher auch knapp einen Drittel des ausgestossenen CO2 auf. Ein Grossteil der
CO2-Kompensationsprogramme funktioniert mit tatsächlichem oder behauptetem
Aufforsten. Schon jetzt verlieren wir Wald durch Abholzen und Brände, und mit
einem Temperaturanstieg von 4 Grad wird ein grossflächiges Absterben
der Bäume vorausgesagt (https://science.sciencemag.org/content/368/6488/261/), wie es jetzt bei den Korallenriffen stattfindet. Damit wird die Vegetation vom CO2-Puffer zum CO2-Produzenten. Der Deutsche Klimapapst Schellnhuber sagt dazu:
"Wir töten unsere besten Freunde" (https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/interview-hans-joachim-schellnhuber-klimawandel-100.html). Kompensationen durch Aufforsten werden nichtig und der CO2-Ausstoss
wird zum Selbstläufer, selbst bei Netto Null!
Die achte Illusion war, dass das Eis langsam
schmelze. In der
Arktis geht es schneller, als gedacht (https://www.weforum.org/agenda/2020/08/arctic-sea-ice-global-warming-climate-change-predictions/). Nach Abschmelzen
von Schnee und Eis nimmt die Rückstrahlung der Erde derart ab, dass wir zur
Erwärmung noch bis zwanzig Prozent zurechnen können. Das bringt uns bis 2100
nicht auf über 3 sondern auf über 4 Grad, über Land mehr.
Die neunte Illusion war bis vor wenigen Jahren, dass
der Permafrost in Sibirien und anderswo erst gegen Ende des Jahrhunderts
auftaue. Er taut schon jetzt (https://www.nationalgeographic.com/environment/2019/08/arctic-permafrost-is-thawing-it-could-speed-up-climate-change-feature/), und seit einigen
Jahren sprudelt das Methan dort und anderswo aus erwärmten Böden und steigt in
der Atmosphäre rasch an. Methan als kurzlebiges aber sehr starkes Treibhausgas
kann die Erwärmung akut beschleunigen und die Selbstverbrennung zu einer Frage von
Jahren machen.
Die zehnte Illusion war, dass das alles sei. Aber
neuerdings sagen mehrere Klimamodelle eine Abnahme der Wolkendecke voraus, was
die Erwärmung weiter beschleunigen könnte (https://e360.yale.edu/features/why-clouds-are-the-key-to-new-troubling-projections-on-warming).
Die elfte Illusion ist, dass alles langsam geht.
Aber erdgeschichtlich ist das Tempo der jetzigen Veränderungen nie dagewesen.
Zehnmal schneller als die schnellsten Veränderungen in den letzten 65 Millionen
Jahren (https://news.stanford.edu/news/2013/august/climate-change-speed-080113.html), Tempo
zunehmend. Seit 2019 wurden Hunderte von Temperaturrekorden gebrochen, mit
mehreren Monatshöchstwerden und 2020 war das wärmste je gemessene Jahr. Als Arzt schaut man eine solche Entwicklung mit grösster Besorgnis an,
weil sie den Verdacht auf bösartige Beschleunigung untermauert.
Zwölfte Illusion: Alles redet vom Klima. Dabei haben wir noch ein
zweites Problem, das Artensterben, das ebenfalls in einem Tempo abläuft, das
erdgeschichtlich ausserordentlich ist und das für uns genauso bedrohlich ist.
Es ist vorerst noch ziemlich
unabhängig vom Klima (https://phys.org/news/2020-09-humans-climate-driven-rapidly-mammal.html): Denn
die bisherigen Hauptgründe sind Bejagung, sowie Verlust und Vergiftung der
Lebensräume durch stetig ausgedehnte menschliche Population und Aktivität. E.O.
Wilson, der grosse Biologe, meint, dass man die Hälfte der Erde für
"wildlife" reservieren müsste, wenn man das Artensterben aufhalten
wolle.
Wie der Arzt vor der Operation
Die ersten Krankheitssymptome der Erde sind
allenthalben zu sehen, Dürren, Brände, Gletscherschwund, Artenverlust. Als Arzt
sieht man das nicht als Beginn, sondern als Anfang vom Ende (https://lukasfierz.blogspot.com/2019/05/wie-biosysteme-kippen.html). Die Biosphäre kann
nicht mehr kompensieren.
Und wir sehen eine Vielzahl von ursächlichen Faktoren: CO2,
Methan, Wasserdampf, Wolkenverlust, Ozeanversauerung, Pestizide, Verlust von
Lebensräumen. Als Arzt weiss man, dass sich die Folgen nicht nur addieren
sondern manchmal unvorhersehbar multiplizieren können.
Was den Arzt vor allem panisch macht sind die mehrfachen
selbstverstärkenden Mechanismen: Eisschmelze, Methanfreisetzung, CO2-Freisetzung
durch Waldbrände, Waldsterben, Boden- und Ozeanerwärmung. Gegen den Hebel
solcher selbstverstärkender Mechanismen hat man schon wenig Handhabe, wenn sie
einzeln auftreten (man denke an die Aortenstenose), geschweige denn, wenn sie
zusammenwirken und sich möglicherweise noch multiplizieren. Die nachweisliche Beschleunigung
der Erwärmung und die neuliche Häufung von Höchstwerten sprechen dafür, dass der
Verlauf schon jetzt eine Richtungsänderung zum Schlimmeren nimmt.
Die 1,5- oder 2-Grad bis 2100 sind leeres Gerede, das Pariser Abkommen ist
ein fake, ein falsches Alibi, weil es nicht einmal eingehalten wird. Viele
Regierungen verschlimmern die Situation (Russland, Australien, Brasilien,
Indien, bisher auch USA). Nur mit grösstem Glück werden wir am Ende des
Jahrhunderts eine Erwärmung von etwas über drei Grad haben, aber auch das ist
nicht wahrscheinlich, denn die selbstverstärkenden Feedbacks sind alle schon
angesprungen. So reden einige schon von vier, fünf oder mehr Grad. Das heisst
über Land immer noch mehr, und das kann die menschliche Zivilisation nicht
überleben. Und ein Grossteil der Biosphäre auch nicht. Wenigstens weiss ich
jetzt, wieso Schellnhuber keinen Ausweg sieht.
Schon vier Grad Globalerwärmung heissen für Johan Rockström vom Potsdam
Institut bei Berlin, dass die Erde vielleicht noch vier Milliarden Menschen tragen könne,
vielleicht auch weniger (https://www.theguardian.com/environment/2019/may/18/climate-crisis-heat-is-on-global-heating-four-degrees-2100-change-way-we-live). Das
heisst flächendeckende Kriege, wo alte Muster von Kampf um Lebensraum wiedererwachen
werden, um Lebensraum, der immer knapper und schliesslich nicht mehr verfügbar
sein wird.
Dass das alles nicht gesehen werden kann ist zunächst eine Folge der
erwähnten Illusionen – in den Worten von Christian Morgenstern’s «Palmström»
würde man sagen: «Also schliesst er messerscharf, dass nicht sein kann, was
nicht sein darf». Aber solches Denken ist undiszipliniert und infantil, man
könnte es einem Siebenjährigen verzeihen, nicht einem verantwortlichen
Erwachsenen.
Dass uns die Realitätskontrolle derart entglitten ist, hat aber
vielleicht noch den tieferen Grund, dass der Tod im Bewusstsein weitgehend tabuisiert
ist. So können wir ihn nicht erblicken, obschon er uns ins Auge starrt. Idioten
wie Köppel mache ich nicht einmal einen Vorwurf. Wohl eher den Klimatologen,
die so tun, wie wenn es einen Ausweg geben würde, obschon sie es anders
wüssten. Und den Grünen, die die Probleme nicht zu Ende denken und immer noch
vom 1,5 Gradziel faseln, das ist Wählerbetrug.
Abschied von Tabus
Last but not least kommen wir zum zweiten Tabu: Niemand will
die Tatsache sehen, dass wir zu viele sind. Auch das ein Tabu, weil wir
Fortpflanzungsmaschinen sind. Fortpflanzung ist uns als heiligstes und oberstes
Ziel einprogrammiert. Deshalb möchten sich auch viele - z.B. unsere Grünen - in
der Illusion wiegen, dass Verzicht genüge.
Zugegeben, nur die Wohlhabenden machen die Umweltbelastung. Die zehn
Prozent Wohlhabendsten wohl fünfzig Prozent der Verschmutzung, die 50 Prozent
der Wohlhabenderen fast den ganzen Rest. Aber ein Grossteil des
Ressourcenverbrauchs und der Verschmutzung ist dadurch erzwungen, dass zu viele
Menschen in geballten Megastrukturen leben müssen, welche energiefressende
Transporte brauchen.
Einige sehen die Lösung darin, die Privilegien der obersten 10 Prozent zu
eliminieren, der Rhetorik nach könnte man sogar schliessen, dass sie am
liebsten die obersten 10 Prozent der Privilegierten eliminieren möchten – z.B.
mit der Guillotine, nach altem revolutionärem Brauch. Aber auch die halbe
Belastung wäre zu viel. Deshalb müsste man die wohlhabendere Hälfte
guillotinieren, da wären wir Schweizer schon alle dabei. Aber auch das würde
nur nützen, solange die verbleibende Hälfte sich nicht auch vermehren und
wohlhabend werden will, mit Industrie, Fleischkonsum, Autos, Flugzeugen, wie es
zum Beispiel jetzt gerade in Indien und vielen anderen Staaten geschieht, denn
der edle Wilde ist nur eine weitere unserer Illusionen.
Viele Menschen, die
nicht durch Geburtenkontrolle vermieden werden, werden durch Mord, Totschlag,
Hunger und Seuchen ihr Leben lassen müssen. Das ist eine weitere Realität, der
wir ins Auge schauen müssten. Humaner wären zwei Generationen
Einkindfamilie.