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Dienstag, 24. Januar 2023

Das Forellenquintett als liberales Manifest

Zum Variationensatz im „Forellenquintett“ in A-Dur, Op.posth 114 D667.

Schubert hat zu einigen seiner Lieder auch instrumentale Variationensätze geschrieben, einer  findet sich auch im Forellenquintett. Der Liedtext ist ja bekannt:

In einem Bächlein helle  
Da schoss in froher Eil 
Die launische Forelle 
Vorüber wie ein Pfeil 
Ich stand an dem Gestade 
Und schaut in süsser Ruh
Des muntern Fisches Bade
Im klaren Bächlein zu.

Ein Fischer mit der Rute 
Wohl an dem Ufer stand 
Und sah's mit kaltem Blute
Wie sich das Fischlein wand.
Solang dem Wasser Helle 
So dacht ich nicht gebricht
So fängt er die Forelle 
Mit seiner Angel nicht. 

Doch plötzlich war dem Diebe 
Die Zeit zu lang. Er macht
Das Bächlein tückisch trübe,
Und eh ich es gedacht 
So zuckte seine Rute,
Das Fischlein zappelt dran
Und ich mit regem Blute 
Sah die Betrogne an.​

Weniger bekannt ist Entstehung dieses Gedichtes: Der Dichter und Organist Christian Friedrich Daniel Schubart (https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/schubart.html) schrieb es 1782 in der Württembergischen Festung Hohenasperg, wo er seit schon über fünf Jahren in einem Turm in Einzelhaft sass.

Daniel Schubart

Der Grund: Geboren 1739 war er ab 1769 Organist im Württembergischen Ludwigsburg wurde dort aber wegen kirchenfeindlicher Gesinnung und Liederlichkeit des Landes verwiesen. Im Exil schrieb er von 1774-1777 wöchentlich in seiner "Deutschen Chronik" freimütige Beiträge zur lokalen und internationalen Zeitgeschichte, sowie Polemiken gegen Kirche und Absolutismus, gegen inkompetente Regenten und Kleinstaaterei. Er berichtete begeistert über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, propagierte Grundrechte und Nationalstaat. Daneben vertrat er die Genie-Aesthetik von Sturm und Drang und berichtete informiert über Literatur und Musik. Er war also ein eigentlicher Liberaler im ursprünglichen politischen Sinn, im Zeitgeist Beethovens und der sich abzeichnenden Revolution. Es lohnt sich, einen Blick auf das Faksimile der Zeitschrift zu werfen: Deutsche Chronik Augsburg aufs Jahr ... : Christian Friedrich Daniel Schubart : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive

1777 wurde er auf Anordnung des Herzogs mit einer tückischen List über die Grenze nach Württemberg gelockt und ohne Gerichtsurteil als gefährliches Subjekt zwecks gewaltsamer Umerziehung eingesperrt. Anfangs war er dort mit Sprech- und Schreibverbot belegt und wurde häufig geprügelt. Nach Jahren konnte er seine Gedichte nur durch ein Mauerloch einem Mitgefangenen diktieren und dann aus dem Gefängnis herausschmuggeln lassen. Jahre  später durfte er Gedichte auch aufschreiben und nach  Zensur weitergeben. Erst zehn Jahre später freigelassen starb er schon 1791. 

Das Forellengedicht beschreibt eigentlich Schubarts eigenes Schicksal, aber verschlüsselt. Zur noch besseren Täuschung der Zensur hatte das Gedicht noch eine vierte Strophe, welche unerfahrene Mädchen davor warnt, sich von falschherzigen Verführern angeln zu lassen.

Den Zeitgenossen jedoch war der autobiographisch-politische Gehalt klar: Die Forelle ist Schubart selber, der tückisch gefangengesetzt wurde. Und Schubert, der später, aber im ähnlich repressiven Metternich'schen Staat lebte, war der Sinngehalt des Gedichtes zweifellos klar. Und er vertonte auch nur die ersten drei Liedstrophen und dies in einer musikalischen Form, die ein Anhängen der tarnenden letzten Strophe gar nicht erlaubt.

Auch im Variationensatz des sogenannten Forellenquintetts kann man das Gedicht anklingen hören: Zuerst das Thema als friedliche Natur. In der ersten Variation das Spiel der Wellen. In der zweiten das Spiel der Forelle. In Variation drei spielen Cello und Kontrabass das Thema unisono und piano (es wird allerdings entgegen der Anweisung immer forte gespielt!), übertönt von im forte wirbelnden Arpeggien des Klaviers - wirbelt hier der Fischer auf leisen Sohlen verstohlen das Bächlein auf, der Forelle die Sicht trübend? Die vierte Variation fortissimo, höchste Erregung, dann Ersterben - kämpft und verendet hier die Forelle an der Angel? Dann das traurig klagende Cello der fünften Variation, eine der überhaupt rührendsten Celloparts der Kammermusik - wohl die Trauer über den Verlust von Freiheit und Leben. Zuletzt als doch heiterer Abschluss die Erinnerung, was die Forelle war und sein könnte.

Wenn Schuberts Zeitgenossen das Stück politisch verstehen konnten, so können wir heute darin auch eine Klage über den stückweisen Verlust von Natur und Kreatur hören.