Über mich

Posts mit dem Label Pandora werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Pandora werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 1. April 2020

NZZ gegen Virologie

Man erinnert sich mit Wehmut an die alten Zeiten, wo die Wissenschaft in der Neuen Zürcher Zeitung unter der umsichtigen Leitung von Herbert Cerutti ein unangetastetes Reservat hatte. 

Inzwischen stösst man in der NZZ nicht nur im Klimabereich auf allerlei wissenschaftlich Unausgegorenes, so meldet sich jetzt zur Coronakrise auch ein gewisser Reinhard K.Sprenger, Philosoph und Unternehmensberater mit dem steilen Titel: "Virologen regieren die Welt - Politiker gebärden sich als Erfüllungsgehilfen"

Schon der Titel ist falsch: Eine grosse Pandemie erwartet man seit Jahren, und wenn die Virologen wirklich regierten, wäre man besser vorbereitet gewesen. Ein Pandemieplan besteht zwar seit 2004, aber der Chef des Bundesamtes für Gesundheit BAG Dr. med. Thomas Zeltner stellte 2018 in einem Gutachten fest, dass er ungenügend umgesetzt sei mit der Folgerung: "Entsprechend wird man nun vor harte Realitäten gestellt". So hat sich das BAG in der Coronakrise mit seinen untauglichen Faxstatistiken blamiert. Ein Praeventionsgesetz, welches die Krankheitsstatistik schweizweit vereinheitlichen und beschleunigen wollte wurde 2011 von SVP, CVP und Gewerbeverband als eine "Gesundheitsdiktatur" versenkt, welche "eine Büchse der Pandora öffne" (Bild: William Waterhouse (1849-1917): Pandora's Box, 1896).

                                                                                                           
Virologen waren damals nicht beteiligt. Und wenn die Virologen wirklich regierten, wäre man mit Massnahmen gegen das Coronavirus viel schneller gewesen: Man erinnere sich an die frühe Warnung von Prof.Althaus (Bern), der den Verzicht auf Tests "nicht nachvollziehen konnte" und an die dringenden Alarmrufe von Prof.Aguzzi (Zürich) und Prof.Neher (Basel), welche raschere und schärfere Massnahmen forderten. 

In Südkorea ist der erste Coronafall am gleichen Tag aufgetreten wie in den USA. Südkorea hat gemacht, was die Virologie lehrt: Durch flächendeckende Kontrollen und Eingrenzung des Virus blieb es bei 10'000 Infektionen mit 174 Toten, das kostete Millionen. Trumps Resultate in den USA werden Grössenordnungen schlechter sein, mit Kosten von Billionen, und wir liegen irgendwo dazwischen mit Kosten von Milliarden. Wo die Virologen nichts zu sagen haben entstehen Schlamassel und Kosten. 

Um die verschwurbelten Gedankengänge der NZZ-Redaktion besser zu verstehen habe ich den Artikel von Herrn Sprenger dann ganz genau studiert: Sprenger spricht davon, dass "die Politik handlungsfähig bleiben müsse, indem sie das Wechselspiel der gesellschaftlichen Subsysteme moderiere. Dafür brauche sie Urteilskraft und die Fähigkeit der Priorisierung. Diese könne nicht langfristig die Logik der Virologen totalisieren (was immer das heissen mag). Politik müsse insbesondere Spät- und Nebenwirkungen kalkulieren, wie zerstörte Partnerschaften, Firmenkonkurse und irreparable wirtschaftliche Strukturschäden. Für die ganze Gesellschaft bräuchten wir daher Balancen, die alle gesellschaftlich relevanten Aspekte diskutieren und gewichten, nicht nur solche der Virologie..." 

Aber Herr Sprenger kann beruhigt sein, die gesellschaftlich relevanten Aspekte wurden hier alle diskutiert: Nicht die Virologen, sondern die Politik hat den Lockdown beschlossen, weil diesmal die Alten gefährdet sind, diese Alten, welche in Anzug und Kravatte, in Boardrooms und Regierungskabinetten die Welt regieren. Sie schauen gut für sich. 

Und wir können Herrn Sprenger weiter beruhigen: Bei der Umweltkatastrophe, welche ausser diesen regierenden Alten alles bedroht, die meisten Tierarten, Insekten und Meeresbewohner, ja die Zivilisation und die Menschheit, dort wird selbstverständlich nicht auf Fachleute gehört, seien es nun Virologen oder Physiker, sondern zugunsten der Wirtschaft entschieden.  In Sprengers eigenen Worten: "Genau für solche Situationen gibt es Führungskräfte... Menschen, die sich schuldig machen - aus Sicht jener, die anders entschieden hätten... Die, spreche ich es aus, das Dilemma zwischen den Überlebensschancen der Alten und den Zukunftschancen der Jungen entscheiden. Und die - dies vor allem! - in der Inszenierung der Alternativlosigkeit nicht nur einen Anschlag auf die menschliche Intelligenz erkennen, sondern einen auf unsere Freiheit schlechthin." 

Tatsächlich, das Handeln nach Vernunft und Vorsicht ist nicht alternativlos! Man kann auch wissentlich defekte Flugzeuge in den Tod fliegen lassen, abgasmanipulierte Autos und giftige Pestizide vermarkten oder wider besseres Wissen Klimaleugner finanzieren. Dies zu unterbinden wäre wahrlich ein Anschlag auf unsere Freiheit. Das hören die Manager gern, die unsere Welt ruinieren. So wundert nicht, dass sich Reinhard Sprenger auf seiner Website damit rühmt, Beratungsmandate bei sämtlichen DAX-Konzernen in Deutschland gehabt zu haben. Die Resultate sind entsprechend, und die "Führungskräfte" werden ihn gut bezahlt haben.