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Donnerstag, 5. März 2020

Die Prometheische Illusion

Neulich hat der Deutschlandfunk die Geigerin Patricia Kopatchinskaja (1,2) und andere Musiker angefragt, einen Brief an Ludwig van Beethoven zu schreiben. Mit ihrer Erlaubnis drucken und kommentieren wir ihren Brief hier:

Lieber Ludwig,

Du Titan und Schöpfer unter den Menschen. Wir, die Bürger der freien Republiken, haben Dich als Gipfel aller Monumente in unseren Konzertsäle und auf unzähligen Konserven unwiderruflich einbetoniert. Niederkniend vor Deiner Musik repetieren wir sie wie ein Mantra. Oh Du Leuchtturm, der alle erblinden lässt!

Man fürchtete Dich, aber längstens bist Du totgespielt, mit Lorbeer bekränzt, eingereiht im Friedhof unserer großartigen Vergangenheit.

Prometheus war die Hoffnung Deiner Zeit, Sinnbild von Erfindungsdrang und Emanzipation der Menschen aus Untertanen- und Gottesgnadentum, Sinnbild für Herrschaft von Vernunft und Menschenrechten. Er war Dein Held.


Wir, die Menschen aus Lehm, die anfangs so dumm und fühllos waren, uns hast Du das den Göttern geraubte Feuer gebracht, von Musen und Apoll lernten wir Musik und Tanz, Vernunft und Einsicht auf dem Parnass. Und Melpomene, die Muse des Trauerspiels, lehrte uns wie der Tod die Tage der Menschen beendet.

Und willst Du wissen, wie es mit uns, den Geschöpfen des Prometheus weitergegangen ist? Wir waren fleißig und fruchtbar und haben uns zur Unzahl vermehrt. Wir haben die uns gelehrte Vernunft benutzt, um das uns geschenkte Feuer einzusetzen für Wärme, Kraft, Komfort und Überfluss der Neuzeit. Nichts ist genug. Die Natur wird erwürgt. Auch unserer Vernunft ist nicht genug, der Einsicht zu folgen, dass Feuer immer weiter Feuer gebiert, von Kalifornien, Australien, Sibirien, bis zur Arktis, bis Feuer die Hoffnung und die Tage der Menschheit beschließt.

Und wir sehen ein, Prometheus und wir, seine Geschöpfe, die meinten, des Zeus nicht achten zu müssen, wir waren doch keine Götter. War der Feuerbringer wirklich der Titan Prometheus oder nicht eher eine Ausgeburt der Hölle, Lucifer?

Hahaha-Haaa...

Liebe Grüße ins Jenseits

Patricia Kopatchinskaja



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Hier liest Patricia ihren Brief (Bild anclicken für Audio): 


Und hier noch etwas Hintergrund:  

Johann Wolfgang von Goethe schrieb sein Gedicht "Prometheus" zwischen 1772 und 1774, er war in seinen frühen Zwanzigerjahren. Dieses Gedicht fasst die Hoffnungen einer Epoche zusammen: Prometheus der revolutionäre Titan achtet der Götter nicht, indem er sein Schicksal in die eigene Hand nimmt und nach seinem eigenen unabhängigen Bild menschliche Geschöpfe schafft, vermeinend, damit Zeus und die Götter als unbedeutende Fussnote der Geschichte hinter sich zu lassen. 

Hier ist die unsterbliche Rezitation von Alexander Moissi (1912): 



Und so lautet das Gedicht: 


Prometheus


Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch Götter.
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus, wo ein,
Kehrte mein verirrtes Aug
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir wider
Der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du's nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herren und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?
Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich.
Bald danach kam die Französische Revolution. Ihr erster Konsul - Napoleon Buonaparte - wurde von vielen als der moderne Prometheus angesehen, der die von Kirche und Königen geknebelte Menschheit mit neuen Gesetzen in eine emanzipierte Zukunft führen werde. 
   
Damals schrieb Beethoven die Musik für das Ballett "Die Geschöpfe des Prometheus" (1801), welches solche Ideen auf die Bühne stellte, so wie in Patricias Brief beschrieben. Material aus dieser Bühnenmusik wird später in fast allen Symphonien Beethovens wieder auftauchen, vor allem in der "Eroica" (1802/3), welche ursprünglich Buonaparte gewidmet war. Als sich allerdings Napoleon unbescheidenerweise selber zum Kaiser krönte (1804) kratzte Beethoven die handschriftliche Widmung von seinem Manuskript weg. Allerdings kann die "Eroica" immer noch als eine Art Prometheus-Symphonie verstanden werden. Und das gesamte Werk Beethovens, bis zu seiner Neunten Symphonie, verkörpert seine (und unsere) Hoffnung auf eine aufgeklärte und humanistische Welt. 

Und jetzt, ein Vierteljahrtausend nach Beethovens Geburtstag, feiert und bestätigt einstimmiger und unendlicher Jubel Beethovens überragende Grösse für Menschheit und Menschlichkeit, das ganze auch eine Selbstbeglückwünschung zu unserem Fortschritt unter den Beethovenschen Idealen. Wenn auch ein Teil dieses Jubels seine Berechtigung haben mag, so bleiben Skepsis und sogar Sorge, z.B. hat Wreblowski (3) gewisse Zweifel bezüglich der Natur von Prometheus diskutiert. Im Rückblick auf die zwischenzeitliche Entwicklung fühlte sich Patricia Kopatchinskaja veranlasst, diese Sorgen in ihrem Brief zu artikulieren.

Weitere Angaben: 

(1) Patricias Website: https://www.patriciakopatchinskaja.com/
(2) Patricias Facebook: https://www.facebook.com/patriciakopatchinskaja/
(3) Z.Wreblowski:Lucifer and Prometheus, Routledge and Kegan Paul Ltd,1952,IBSN 0415-20948-X