Über mich

Posts mit dem Label CO2 werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label CO2 werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 27. Juli 2019

Redet endlich Klartext: Holocaust 2 (*)


(Erschienen in Bieler Tagblatt vom 17.8.2019, aktualisiert 31.7.2021)

Alle reden von Klimawandel, ein Begriff ohne Richtung oder Bedrohlichkeit, der eigentlich vernebelt, was Sache ist. Besser wäre "Klimaerwärmung", aber auch das ist noch zu angenehm. Treffender vielleicht "Klimaerhitzung". Immerhin kann Hitze schon beeinträchtigen. Aber trifft das den Sachverhalt?

Fossil by Heartless Machine (9)
Jede Sekunde wird die Erde mit der Energie von drei bis sechs Hiroshimabomben aufgeheizt (3). Vor dem Pariser Klimaabkommen von 2015 wurde davon gefaselt, den Temperaturanstieg bis ins Jahr 2100 auf 1,5 Grad zu begrenzen, aber selbst bei dessen Erfüllung würde die Temperatur um 2,4 Grad steigen. Weil sich niemand daran hält gehen die offiziellen Prognosen von 3,2 Grad Globalerwärmung bis 2100 aus. Deshalb musste man schon 2017 die 1,5 Grad auf Mitte unseres Jahrhunderts vorverschieben und 2018 hat das IPCC die 1,5 Grad offiziell auf 2040 vorverlegt (4)

Aber selbst dieser dramatische Bericht blendet aus, dass der Temperaturanstieg durch die weiter steigenden Treibhausgase weiter beschleunigt wird: Die 1,5 Grad sind schon 2030 oder vorher zu erwarten, wie die angesehene Zeitschrift Nature schreibt (5), eine Vorverlegung um sieben Jahrzehnte innert ca. sieben Jahren! Und das abschmelzende Poleis wird diese Effekte wegen verminderter Reflexion um 20 oder mehr Prozent verstärken, auch das nicht im IPCC-Bericht. 

Mit anderthalb Grad Erwärmung gehen 70-90 Prozent aller Korallenriffe zugrunde. Der nächste Schritt, die zwei Grad  zerstören 99 Prozent der Korallenriffe, in Südeuropa wird der Anbau von Zitrusfrüchten, Oliven und Wein unmöglich. Teile des Mittleren Ostens und Nordafrikas (6) sowie Südostasiens werden hitzebedingt unbewohnbar. Jede erreichte Erhitzung ginge sogar bei stabilisierten Treibhausgasen während Jahrzehnten weiter. Fatale Selbstverstärkungs- und Kippmechanismen können jederzeit dazukommen, soweit sie nicht schon jetzt ablaufen. Teils unabhängig und ebenso bedrohlich ist das galoppierende Artensterben durch Lebensraumzerstörung, Chemie und Hitze sowie der zunehmende Trinkwassermangel, alles verschärft durch unkontrolliert steigende Bevölkerung. Der Deutsche Bundesnachrichtendienst rechnet mit einer Milliarde Menschen, die flüchten und sich bekriegen werden, und das ist ja nur der Anfang, danach wird zusammen mit Zivilisation und Menschenrechten auch ein Grossteil der Biosphäre untergehen. 


Der Klimaforscher Prof. Joachim Schellnhuber benannte sein Buch "Selbstverbrennung" (7), David Wallace-Wells das seinige "Die unbewohnbare Erde" (8,9). Darum geht es doch, dass wir durch Gier, Dummheit und Herdentrieb alles zerstören, Mensch und Natur durch Hitze, Gift und Dürre. Der englische Guardian will deshalb nicht mehr von "global warming" reden, sondern nimmt Greta Thunbergs Vorschläge auf wie "Klimazusammenbruch", "Klimakrise", "Klimanotstand", "ökologische Krise" etc (10). E.O.Wilson redet vom "Zusammenbruch des Ökosystems" (11).  Nur bezeichnen alle diese Ausdrücke etwas abstraktes, etwas ausserhalb liegendes, etwas wie eine Überschwemmung oder eine Lawinenkatastrophe, dem man sich stellen kann. Sie machen nicht bewusst, dass damit alles endet.   


Seit Jahren bringt die Neue Zürcher Zeitung mit schöner Regelmässigkeit alle paar Monate sehr anschauliche und präzise Artikel zum Holocaust. 
Wohlig gruselnd wird mit Fingern auf die Bösewichte gezeigt, auf die Ausschaltung der Menschlichkeit durch Hunger, Waffen, Gift und Krematorien, und - ach, sagen sich die Bürger in ihren Pantoffeln, wie sind wir doch so gut... Aber ich wundere mich, wieso gilt die gleiche Anschaulichkeit und Präzision nicht für die  kommende Ausschaltung von Menschlichkeit und Zivilisation durch Hunger, Flucht, Krieg, Umweltvergiftung und globale Verbrennung? Was vor uns liegt ist der Holocaust 2, diesmal mit grauenhaften Folgen nicht nur für Mensch und Menschlichkeit, sondern für die ganze Biosphäre. Genauso vorsätzlich wie der erste Holocaust, denn Ursachen und Folgen sind bekannt und sichtbar. Aber in Ausmass und Vollständigkeit der Auslöschung um Grössenordnungen schlimmer. All das hat schon begonnen, und derweil streiten wir uns um Cannabisfreigabe, COVID, Gendersprache, Krankenkassenbeiträge und Pensionsalter, wie wenn das daneben noch irgendeine Rolle spielte. 


Nein, es ist nicht eine Klimaveränderung, es ist der Holocaust 2. Und ja, wir können totschweigen, einsperren und des Landes verweisen, wer dagegen protestiert. Aber das löst das Problem genau so wenig, wie das feige Augenverschliessen vor der Realität.   

___________________________________________________

(*) Es wurde verschiedentlich bezweifelt, ob der Ausdruck "Holocaust 2" (aus dem Griechischen, eigtl. Totalverbrennung) zulässig sei. Ich habe diesen Text deshalb einem Halbjuden und einem Zigeuner vorgelegt, welche beide in Auschwitz Angehörige verloren hatten und somit befugt sind, zu urteilen. Beide bejahten, dass der Ausdruck treffe und gebraucht werden dürfe. 

Vorauszuschicken ist, dass der Begriff Holocaust schon lange vor den Nazis, d.h. seit 1600 gebraucht wurde. Von solchen, die den Ausdruck ablehnten wurde verschiedenes  vorgebracht: Es wurde behauptet, der erste Holocaust sei eine industrielle Vernichtung gewesen, der zweite nicht. Ja, aber ist der zweite nicht industriell par excellence, nämlich überhaupt eine Folge der Industrialisierung? Es wurde auch behauptet, der erste sei absichtlich gewesen, der zweite nicht. Ja, aber wusste nicht Exxon Jahrzehnte vor den Grünen, dass der Treibhauseffekt in die Katastrophe führe und finanzierte trotzdem Desinformationskampagnen mit Hunderten von Millionen Dollars? Und die Koch Brothers und alle die bestochenen "Experten", und die Redaktionen, die nicht auf die Wissenschaft hören oder sie verunglimpfen (es ist doch schon kurios: Wenn die Ingenieure und Physiker Brücken, Eisenbahnen, Flugzeuge, Kraftwerke berechnen, anvertrauen wir ihnen diskussionslos unser Leben, nur wenn sie vom Klima sprechen soll alles gelogen sein, da stimmt doch etwas nicht)? Es wurde eingewendet, der erste Holocaust sei bewusst betrieben worden, und der zweite sei ja "unbewusst": Mir scheinen die Unterschiede klein, auch nach dem zweiten Weltkrieg hiess es bekanntlich überall in selbstbemitleidendem Ton "davon haben wir ja alle nichts gewusst", obschon sehr viele von den öffentlich sichtbaren Enteignungen und Vertreibungen profitiert hatten, wie der Historiker Götz Aly nachgewiesen hat, und obschon mindestens Hunderttausende wennnicht Millionen von Soldaten von den Massenerschiessungen im Osten wussten, soweit sie nicht überhaupt Zeugen oder Täter waren. Genauso jetzt: Die meisten "wissen von dem ja überhaupt nichts", obschon die Informationen frei zugänglich sind, und viele Jugendliche es auch ganz genau wissen. Es wurde auch eingewendet, das besondere am ersten Holocaust sei der Rassenwahn gewesen, - aber der zweite, wird der nicht auch wegen einem Wahn geführt? Diesmal Wachstumswahn oder Konsumwahn, dafür sind die Konsequenzen noch entsetzlicher. Es wurde gesagt, der erste sei so besonders, weil er spezifisch gegen Juden und Zigeuner geführt worden sei. Soweit so gut, aber auch der zweite betrifft genauso Juden und Zigeuner, und das noch totaler als der erste, darin sind sie deckungsgleich, nur betrifft der Holocaust 2 jetzt alle anderen auch, incl. der ganzen Biosphäre. Der erste ist in diesem Sinne lediglich eine Teilmenge des zweiten. Manchmal ging die Argumentation auch in irrationale Polemik über, z.B. sei die Verwendung des Ausdrucks Holocaust rassistisch, oder man pöbelte gegen den Autor als Überbringer einer schlechten Nachricht. 

Das ist alles Spiegelfechterei,man streitet um Worte, um sich der Sache nicht stellen zu müssen. Die Frage ist doch, ob man das uns bevorstehende Grauen überhaupt adaequat benennen darf und kann. Und da scheinen alle anderen Worte zu sauber, zu objektivierend, - kurz ungenügend, um das bevorstehende Staatsversagen und den sicheren Untergang von Menschlichkeit und Zivilisation zu fassen. Überwiegend hatte ich in diesen Diskussionen den Eindruck, dass man sich gegen den Ausdruck wehrt, um sich unter einem zimperlich-schöngeistig-ethischen Mäntelchen vor der Realität zu drücken - und lalala, schon hat alles keine Dringlichkeit mehr, wir können zur Tagesordnung übergehen: Schule halten wie bisher, einkaufen wie bisher, arbeiten wie bisher, die Autobahnen und Flughäfen weiter ausbauen und müssen uns der Situation nicht stellen. Lieber lassen wir doch alles in der Vernebelung, oder?... Genau diese Haltung hat uns in diese Situation gebracht.
____________________________________________________________________

(1) https://www.youtube.com/watch?v=_7bs7ShEVHM&t=35
(7) https://www.exlibris.ch/de/buecher-buch/deutschsprachige-buecher/hans-joachim-schellnhuber/selbstverbrennung/id/9783570102626
(8) https://www.exlibris.ch/de/buecher-buch/deutschsprachige-buecher/david-wallace-wells/die-unbewohnbare-erde/id/9783453281189
(9) http://nymag.com/intelligencer/2017/07/climate-change-earth-too-hot-for-humans.html
(10) https://www.theguardian.com/environment/2019/may/17/why-the-guardian-is-changing-the-language-it-uses-about-the-environment
(11) https://lukasfierz.blogspot.com/2019/07/klimaerwarmung-wassermangel.html

Freitag, 3. Mai 2019

Umweltkrise braucht anderes Wirtschaften

Ein Team finnischer Biophysiker studierte die gesellschaftlichen und wirtschaftliche Herausforderungen durch die Umweltkrise und Lösungsansätze (für die Originalarbeit Link anclicken, viele Literaturangaben). Die Studie wurde durch den damaligen UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon in Auftrag gegeben und soll in einen UN Global Sustainable Development Report 2019 (GSDR) einfliessen, der unseres Wissens noch nicht veröffentlicht ist. Wir fassen die Studie zusammen: 
_________________________________________

Die Zeit billiger Energie und Entsorgung ist vorbei. Und die Klimaerwärmung ist nur eines unter vielen bedrohlichen Problemen als da sind Artenverlust, zunehmende Ungleichheit und Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Inflation. Schon allein die Lösung des Klimaproblems braucht massive wirtschaftliche und gesellschaftliche Umstrukturierungen, vor allem in den Bereichen Energie, Transport, Ernährung und Siedlungsstruktur, die im folgenden skizziert werden sollen:  

Energie: Fossile Brennstoffe ca. 80 Prozent der global verbrauchten Primärenergie. Für konventionelle Ölförderung ist peak oil schon eingetreten, Mehrproduktion kommt nur vom umweltschädlichen und weniger effizienten Fracking. Sowieso müssen wir raschestmöglich von fossilen Brennstoffen wegkommen.  Diese können wir nicht vollständig mit nachhaltiger Energie zu ersetzen. Es braucht  massive Einsparungen und  dezentrale intelligent-vernetzte Produktion. 
Das Ende der Ölzeit
Transport: Siedlungen müssen verkehrsarm geplant werden, z.B. durch Annäherung von Wohn- und Arbeitsorten. In Städten und Siedlungen muss Fuss- und Fahrradverkehr dominieren. Der verbleibende öffentliche und halböffentliche Verkehr in und zwischen Siedlungen muss elektrisch werden. Alle Transportvorgänge, vor allem der internationalem Luft- und Frachtverkehr müssen reduziert werden, soweit sie nicht CO2-frei möglich sind. 
      
Ernährung: Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen und Transporte zu reduzieren sollten alle Länder eine diversifizierte Selbstversorgung fördern. Milch- und fleischbasierte Ernährung muss auf pflanzliche umgestellt werden. 

Bauten: Das Bauen mit Beton und Stahl ist energie- und treibhausgasintensiv. Dagegen können Holzbauten O2 binden. Energieverbrauch und Immissionen von Heizung und Kühlung müssen baulich minimisiert werden. 

Auch ein scharfes Carbon-pricing genügt nicht mehr, um diesen Umbau in nützlicher Frist zu erreichen. Sehr vorsichtig wird in der Studie geäussert, dass bisherige neoklassische (d.h. auch neoliberale) wirtschaftliche Theorien und Instrumente die anstehenden Probleme nicht meistern können. Wie beim Apollo-Programm brauche es staatliche Anstrengungen, ähnlich einem Marshallplan, z.B. mit zielorientierten Beschäftigungsprogrammen und Finanzierungen. Vieles ist auf nationalstaatlicher Ebene nicht zu lösen. Anstoss und erste Schritte müssten von einer Gruppe oder Gruppen fortschrittlicher Staaten kommen, die sich zu einem Aktionsbündnis zusammenschliessen. 
______________________________________________________

Hier noch ein Bericht und Kommentar über dasselbe im Englischen Independent, mit mehr Klartext, nämlich, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung in der bisherigen Form versagt:

https://www.independent.co.uk/news/long_reads/capitalism-un-scientists-preparing-end-fossil-fuels-warning-demise-a8523856.html




Mittwoch, 17. April 2019

Der Untergang des Weissen Mannes

(Erschienen in meinem Buch "Begegnungen mit dem Leibhaftigen", Tredition 2016)
 
Ich war noch ein Schüler, es waren friedliche Sommertage am Zürcher Obersee. Am gegenüberliegenden Ufer nur der schwarz bewaldete menschenleere Buchberg, links seeaufwärts zuerst das Bootshaus in dem das alte hölzerne Ruderschiff leise vor sich hin schaukelte, anschliessend zweihundert Meter dichter Schilf und dann das Gemäuer mit dem dicken, runden Turm, den der damals berühmte Psychiater C.G.Jung
C.G.Jungs Gemäuer mit dem dicken selbstgebauten Turm
sich vor Jahrzehnten eigenhändig gebaut hatte. Rechts seeabwärts noch mehr Schilf, dann steiles Ufer und ein Kilometer weiter schliesslich das Dörflein Bollingen mit dem Kirchturm, von dem täglich in die untergehende Sonne die Abendglocke läutete. 

Das Ferienhaus, das noch Grossvater gebaut hatte stand am Hang und hatte vor sich gegen das Ufer einen ringsum mit mediterranen Ziegeln bedachten Säulengang, der einen kleinen viergeteilten Paradiesgarten einschloss. Dort dufteten Grossmutters Rosen rund um den zentralen Ziehbrunnen.

Nach dem Grossvater war 1955 jetzt auch Grossmutter gestorben. Mein Vater und seine Brüder hatten das Haus geerbt und in diesem Sommer 1956 durften wir erstmals die Sommerferien in diesem Paradies verbringen. Ich war damals fünfzehn Jahre alt und mein Bruder zwölf. Am Ufer und um den Hof gab es viel Gestrüpp abzuholzen, man schwitzte, dazwischen tunkte man sich im Wasser und manchmal machte man eine Expedition mit dem alten Ruderboot. 
Jung in Bollingen bearbeitet Brennholz
mit Strohhut und Gärtnerschürze (von 
einem Youtube-Video)
Wenn man seeaufwärts fuhr schien das Gemäuer mit dem Turm meist unbelebt. Aber ausnahmsweise sah man aus der Entfernung Jung, den alten Seelenarzt und Meister auf der Uferterrasse Holz spalten, oder er sass am Wasser und spielte mit Kieselsteinen. Meist trug er dabei den breitkrempigen zerschlissenen Strohhut und die grüne Gärtnerschürze. Nahe fuhren wir nicht, seine Kreise wollten nicht gestört sein. Eng befreundet mit Grossvater hatte er diesem einst das Grundstück für unser Ferienhaus überlassen.

Eines Nachmittags kam die grosse gebeugte Gestalt mit Strohhut und Gärtnerschürze auf dem Uferweglein durch das Schilf zum Bootshaus und meinte, es sei Zeit für einen Nachbarschaftsbesuch. Es muss wohl ein heisser Sommertag gewesen sein, oder dann ein kühler regnerischer Tag, denn sonst hätten wir den Gast auf dem gedeckten Sitzplatz des Paradiesgärtchens empfangen. So aber baten wir ihn in den vor Hitze und Kälte geschützten, wenn auch düsteren Parterreraum des Hauses selber. Grossvater hatte sich dort eine Art Rittersaal eingerichtet mit einem riesigen Kamin, einem ebenso riesigen flaschengrünen Kachelofen, einem schweren Schiefertisch und barock geschnitzten Holzstühlen, die ihm ein alter Walliser Kunsthandwerker in dort noch lebendiger Tradition hergestellt hatte. Am Boden standen zwei eiserne Schatztruhen mit komplizierten Schlössern. Der Raum war düster, weil die Fenster nach wiederholten Einbrüchen mit dicken Betonpfosten und Eisenstäben unpassierbar gemacht waren.  Dafür erzeugten farbige Butzenscheiben den oberen Fensterpartien eine Stimmung wie in einer Kapelle. Man war hier in einer anderen Welt, ausserhalb unserer Zeit.

Jungs Blick über die Drahtbrille
Der Meister war schon über achtzigjährig, er nahm Platz, erhielt Tee und war in aufgeräumter, gar leutseliger Stimmung. Er stopfte sich eine Pfeife. Auf die Frage, wie es immer gehe meinte er mit schalkhaft-spöttischem Blick über die kleine Drahtbrille, es sei ganz interessant, die Phänomene der Senilität einmal an sich selber zu studieren.

Irgendwie schien er sich vor allem an uns Junge, meinen Bruder und mich zu wenden. Hier hatte der alte Storyteller ein neues, naives Publikum. Er beschrieb Versuche mit der Hypnose: Eine frisch verheiratete junge Frau habe man in ihrer Biographie zurückhypnotisiert, zuerst habe sie erzählt, sie sei frisch verlobt, als man sie noch jünger gemacht habe, habe sie auf die Frage, ob sie den Namen ihres jetzigen Mannes kenne nur noch verschämt verneint und sei dabei errötet. 


"
Taos, New Mexico, wo Jung dem Häuptling "Mountain Lake" begegnete
Dann kam er auf seine Amerikareisen, die ihm seinerzeit Rockefeller finanziert hatte, als Dank für die Behandlung einer Verwandten. 1925 sei er in New Mexico bei den Puebloindianern gewesen. Dort habe er einen grossen Häuptling kennengelernt. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass der weisse Mann zum Untergang verurteilt sei. Etwas überrascht habe er ihn gefragt, warum. Darauf habe der Häuptling beide Hände vor die beiden Augen genommen - der Meister machte die Geste mit den eigenen Händen nach und fuhr mit den nach vorn ausgestreckten Zeigefingern konvergierend auf einen Punkt auf dem Tisch - und der Häuptling habe dazu gesagt: Weil der weisse Mann den Blick nur auf EINEN Punkt fixiere und alles andere darum herum ausblende.

Nach einer Stunde war der Tee getrunken und die Pfeife erloschen, der Meister verabschiedete sich so aufgeräumt wie er uns begrüsst hatte. Es sollte sein erster und letzter Besuch bei uns bleiben. Wieso er uns Jungen von all den vielen Geschichten, die er erlebt hatte ausgerechnet diejenige vom Häuptling weitergegeben hatte blieb rätselhaft. Zwar hat er sich andernorts immer mit grossem Respekt über ebendiesen Häuptling geäussert, der den Namen „See des Gebirges“ trug: Zum Beispiel habe dieser den weissen Mann als „verrückt“ bezeichnet, weil er mit dem Kopf denke und nicht mit dem Herzen, wie es sich gehöre. Aber vom Untergang des weissen Mannes ist nirgends etwas geschrieben. Zu unverständlich und zu abwegig schien damals vielleicht diese Weissagung, als dass man sie schriftlich hätte veröffentlichen können.

Ich habe die Szene in Erinnerung, wie eine Theateraufführung: War er nur ein virtuoser Darsteller, der uns Jungen seine Kunst vorführte und dies ganz offensichtlich genoss? Oder wollte er uns mehr mitgeben?

Damals 1956 schien diese Erzählung eigentlich eine blosse unterhaltsame Anekdote, ein weiteres Beispiel für das magische, unaufgeklärte und ausserhalb der Realität sich bewegende Denken der sogenannten Primitiven.

Dreissig Jahre später hatte es mich in das Schweizerische Parlament gespült, diesen Affenfelsen der Egos. Unterdessen hatte der Club of Rome vorausgesagt, dass das bisherige Wirtschaften in eine Katastrophe führen werde. Eine Reaktion der Entscheidungsträger wurde dadurch nicht ausgelöst. Aus Verzweiflung über die Blindheit der etablierten Parteien hatten wir mit einigen denkfähigen Individuen die Grünen gegründet, die allerdings bald danach unterwandert wurden, einerseits von Marxisten, welche am Untergang der Sowjetunion verzweifelten und andererseits von Gesundbetern verschiedener Richtungen, die den naiven Kindergartenglauben einbrachten, dass gute Absichten zu guten Lösungen führten.  

Der Effekt der neuen Bewegung blieb gering. Im Parlament leierten die Vertreter der etablierten Parteien weiterhin ihre bekannten Positionen herunter, aber man musste ja nicht zuhören. Weniger leicht zu ertragen ist, wenn vollgefressene Gewerkschafter Positionen vertreten, die sie längst nicht mehr leben, oder, wenn Verantwortung geredet, aber Schwarzgeld gemeint wird, oder besonders, wenn alle von links bis rechts einmütig den Staat immer noch weiter aufblasen wollen, um ihre Pfründe auszudehnen. Das ist wohl in allen Parlamenten der Welt dasselbe.

Zu meiner Zeit gab es eigentlich nur drei Redner im Nationalrat, bei denen das Zuhören immer packend war und zwar unabhängig davon, ob man den Standpunkt teilte oder nicht. Da war der kunstvoll-skurrile Sprachwitz von Moritz Leuenberger, oder die politische Brandrede Helmut Hubachers, so elegant und zielsicher geführt wie ein Degen. Den höchsten Unterhaltungswert hatte die polternde Stammtisch­show Christoph Blochers, unseres Hauptgegners in Umweltfragen.  Wenn einer dieser drei nach vorn ging, so war ich immer im Saal. 

Sympathien und Antipathien hielten sich im Übrigen nicht an Parteigrenzen. Während Jahren sassen ein Bergbauer aus dem Graubünden und ein Obstbauer aus dem Kanton Thurgau neben mir und trotz verschiedener politischer Ansichten habe ich die respektiert und sogar richtig gerngehabt. Solches wurde zwar im eigenen Lager scheel angesehen, denn wer mit anderen sprach stand rasch im Ruf des Abweichlers, wenn nicht gar des Verräters. Aber im Schweizer Parlamentarismus geht es darum, Mehrheiten zu zimmern und dabei fährt am besten, wer mit allen Lagern kommuniziert.

Ausserdem kann der Naturwissenschaftler und Arzt auch im Parlament seine alte Haut nicht ablegen. Mich interessierten die Verhaltensregeln auf diesem Affenfelsen und vor allem auch die einzelnen Persönlichkeiten. Blocher konnte ich einmal dafür gewinnen, eine unsinnige Subvention zu bekämpfen und deshalb kamen wir auch sonst etwas ins Gespräch. Zwar hielten viele meiner grünen Parteigenossen ihn für den leibhaftigen Gottseibeiuns, aber ich konnte das nie nachvollziehen, hatte er doch wenigstens erkennbare Standpunkte und er glaubte auch offensichtlich, was er vertrat. Überdies waren ihm eine enorme unternehmerische Tüchtigkeit, Kunstverstand und ein gewisser bäurischer Charme nicht abzusprechen. All das war mehr, als man von den meisten anderen behaupten konnte.

Blocher in meiner Parlamentszeit mit BR Otto Stich (späte 80-Jahre). 
Ich erinnere mich noch ganz genau, dass ich ihm einmal die Frage stellte, woher nach seiner Ansicht seine unglaubliche Durchschlagskraft als Unternehmer und Politiker komme.  Wir standen beide im Vorzimmer des Sitzungssaales an einer Theke, er drehte sich darauf zur Theke und sagte: Ja wissen Sie, Herr Fierz, das kommt davon, dass ich - darauf nahm er beide Hände vor die beiden Augen und fuhr mit den nach vorn ausgestreckten Zeigefingern konvergierend auf einen Punkt auf der Theke - das kommt davon, dass ich meinen Blick auf EINEN Punkt fixiere, und alles andere darum herum ausblenden kann. 

Wenn ich mich recht erinnere, musste ich zweimal leer schlucken. Blocher war, wie gesagt, immerhin unser Hauptgegner in Umweltfragen und als Selfmademan, Unternehmer und Milliardär quasi der Prototyp des erfolgreichen weissen Mannes. Dann musste ich daran denken, wie Blocher bei anderer Gelegenheit fröhlich gefragt hatte, wo denn diese angeblichen Umweltprobleme seien, er jedenfalls habe bisher nichts davon gemerkt, er habe vier Kinder, eines paus- und rotbackiger als das andere und gesund wie reife Äpfel. Das war vielleicht im Jahr 1990 gut zwei Generationen nach der Rede des Häuptlings. 

Jetzt, gut drei Generationen nach der Weissagung des Häuptlings ist diese nicht mehr unverständlich oder abwegig. Und wenn der weisse Mann untergehen wird, wird er eben genau deshalb untergehen, weil er nach wie vor fähig ist, seinen Blick auf EINEN Punkt zu fixieren und alles andere darum herum auszublenden. Der fixierte Punkt heisst nach wie vor Wachstum - Wachstum des Bruttosozialproduktes, Wachstum der Bevölkerung, Wachstum des Wachstums -  und ausgeblendet werden die Bienen, die Bomben, die Tierfabriken, die abgeholzten Wälder, die ausgelaugten Böden, die leergefischten Meere und vor allem die unausweichlich fortschreitende Erwärmung, die sich als der entscheidende Faktor herauskristallisiert und die den belebten Planeten in wenigen weiteren Generationen verbraten könnte. 

Von all den Erinnerungen seiner achtzig Lebensjahre hatte der schillernde alte Meister C. G. Jung in dieser Stunde der Jugend diese Weissagung des indianischen Häuptlings weitergegeben, ich denke, ohne sie zu verstehen oder gar zu glauben, sondern, weil er spürte, dass dieser Häuptling mehr wusste und wahrnehmen konnte, als wir Weissen und, dass vielleicht spätere Generationen auch von ihm hören sollten

Und damit hätte auch ich die Story weitergegeben, an eine Generation, die sie vielleicht versteht. 
_________________________________________________________________


Dazu ein Faktencheck 

(Das wurde Anfang 2016 geschrieben, als man noch dachte, dass die Klimaerwärmung ein Mehrgenerationenproblem sei, und dass man die Erwärmung bis 2100 auf 1.5 Grad begrenzen könne. Inzwischen wurden alle diese Prognosen über den Haufen geworfen. Unser Überleben ist jetzt wahrscheinlich eine Sache von Jahrzehnten, wenn nicht Jahren. Siehe auch: Tabus und infantile Illusionen in der Umweltfrage.) 

Jung schrieb seinem Hausarzt Dr.Tauber 1953 in einem Brief, dass er das Rauchen aufgrund eines Traumes aufgegeben habe (1). Da Jung vorher gegen den Rat der Ärzte jahrelang weiter geraucht hatte, und da er im berühmten BBC-Interview "Face to face" von 1959 ebenfalls Pfeife rauchte muss meine Erinnerung an den 1956 pfeiferauchenden Jung korrekt sein.

Über den indianischen Häuptling hat Jung wiederholt berichtet, z.B. in einem Traumseminar im Jahr 1928 (2) und in seinen Lebenserinnerungen (3). Der Häuptling wurde 1963 von einem Enkel von Jung besucht und er starb in den frühen Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts (4).


Und was sagt der Faktencheck zum Untergang des weissen Mannes?

Die Bevölkerungsgrösse wird seit Malthus diskutiert. Anfangs sah das grüne Bewusstsein nur die Verknappung von Ressourcen, von fruchtbaren Böden, von Wasser und den Artenverlust. Heute ernährt die Erde gut sieben Milliarden Menschen, dank einer Landwirtschaft, die mit fossilen Brennstoffen, Dünger und Pestiziden produktiver gemacht wird.

Erdöl und Düngerlager sind endlich und auf Pestizide wird man wegen der Bienen vielleicht einmal verzichten müssen. Mit weniger Ressourcen und Nahrung für immer mehr Menschen können Konflikte entstehen. Wenn ökologische Lösungen misslingen, so gibt es immerhin noch die spontane Selbstheilungstendenz durch gegenseitiges Totschlagen. Ein Untergang des weissen Mannes oder der menschlichen Population ist daraus mitnichten zu erwarten.

In den Frühzeiten des Grüntums sorgte man sich kaum um den Erwärmungseffekt durch die Treibhausgase, hoffte allenfalls auf eine Lösung durch Erschöpfung des Erdöls und gesenkten Heizbedarf. Nur ging das Erdöl bisher nicht aus, dafür streben in Asien und Südamerika weitere Milliarden nach Konsum und mittlerweile ist die Erwärmung besorgniserregend.

Sicher ist, dass die globale Durchschnittstemperatur schon ein Grad zugenommen hat. Das vergangene Jahrzehnt war das wärmste in der menschlichen Geschichte, das vorangehende das zweitwärmste, und das davor das drittwärmste, Schnee wird rar, Gletscher und Pole schmelzen, Unwetter und Überschwemmungen werden heftiger und häufiger, und ganze Weltregionen vertrocknen, was schon Kriege und Massenmigration ausgelöst hat, die doch erst eine schwache Vorahnung des Kommenden sind. Indes wachsen Weltbevölkerung und Konsum munter weiter, - tout va bien Madame la Marquise…

Wenn man diese Entwicklung weiterdenkt, rückt der Untergang des weissen Mannes doch ins Blickfeld. Angenehmer wäre es, den Fernseher einzuschalten und in die Parallelwelten der Helene Fischer-Show oder der Barockmusik abzutauchen. Aber konnte nicht dieser todkranke Musiker, den die Ärzte anlogen, den Dingen ins Auge blicken, seine Diagnose ganz allein stellen und dem Unvermeidlichen gelassen und heiter entgegensehen? (dieser Satz bezieht sich auf eine andere Geschichte im Buch).

Der CO2-Anstieg unterscheidet sich grundlegend von Ressourcenverknappung und Bevölkerungsexplosion, weil kaum Selbstheilungsmöglichkeiten ausmachen sind: Was wir an Kohlendioxid bisher schon in die Atmosphäre entlassen haben braucht weit über tausend Jahre, um wieder zu verschwinden, nach Menschenrechnung eine Ewigkeit (5).

Uns geht es wie dem Frosch im grossen Kochtopf auf der Gasflamme, deren Gashahn nur aufgedreht, aber kaum zugedreht werden kann. Ursprünglich, vor der Industrialisierung, war die CO2-Konzentration in der Luft mit 280 Teilen pro Million („parts per million“ auch ppm) klein, die wärmende Gasflamme winzig, gerade genügend, um den Topf auf einer angenehmen Temperatur zu halten. Mehr Kohlendioxid macht mehr Wärmezufuhr, sie dreht den Gashahn gewissermassen auf. Mittlerweile hat die CO2-Konzentration 400 ppm überschritten. So hoch war sie letztmals im Pleistozän, vor gut drei Millionen Jahren. Damals lebten Kamele in Kanada (6). Selbst wenn wir die Kohlendioxidemission ab sofort auf null reduzieren, so ist die Gasflamme schon so hoch eingestellt, dass die Erwärmung Jahrzehnte und Jahrhunderte weitergehen wird, Kamele in Kanada sind nicht nur nicht ausgeschlossen (7), sondern wahrscheinlich, wenn es so weitergeht.

Wenn wir dagegen die Kohlendioxidemission nicht ganz stoppen, sondern nur halbieren, so wird der Gashahn noch halb so rasch aufgedreht wie bisher. Damit dauert es zwar länger bis der Frosch gekocht ist, aber gekocht wird er allemal, nur halb so schnell. Derweil wiegen sich Frosch und wir in falscher Sicherheit, weil alles so langsam geht. Das Klima ist ein Vielgenerationenproblem. Im Gegensatz zum Frosch wird es uns noch gelingen, Kinder, Enkel und sogar Urenkel zu haben, aber gekocht werden wir allemal, nur etwas langsamer als der Frosch.

Falls die Bienen überleben scheint der durch Treibhausgase erzeugte Temperaturanstieg die Zukunft des belebten Planeten zu bestimmen. Die Prognosen sind bedrohlich, und vor allem besteht grosse Unsicherheit darüber, ob sie nicht zu optimistisch sind, und ob nicht alles noch viel rascher und schlimmer kommt. Nur als Beispiel: das Abschmelzen des Eises in den Polarregionen und in Grönland geht seit 2016 rascher, als bisher vorausgesagt.

Sämtliche Prognosen enden bei sechs Grad Erwärmung, nicht, weil es nicht noch wärmer werden könnte, sondern, weil dann nur noch ein Dantesches Inferno vorstellbar ist (8), mit Tod unserer Erde, wie wir sie seit Adam und Eva kannten, den Untergang des weissen Mannes inbegriffen…

Mit Massnahmen sind wir spät dran. Die neulichen Beschlüsse von Paris wollen den Temperaturanstieg auf zwei Grad bis Ende des Jahrhunderts begrenzen, genügen aber dafür nicht. Und wer Regierungen kennt, muss befürchten, dass es bei Alibimassnahmen bleibt.

Wenn die zwei Grad nicht eingehalten werden, so sagen uns die Versicherungen, dass die Risiken unbeherrschbar und unversicherbar werden. Und wenn wir mit Glück und äusserster Anstrengung die zwei Grad einhalten bis 2100, was danach? Wird der Frosch doch weiter gekocht?

Elisabeth Kübler-Ross hat gezeigt, wie todkranke Patienten mit ihrer Diagnose umgehen, schematisch in fünf Phasen:

  • Zuerst Verdrängung, die so weit gehen kann, dass ein Blutspezialist einem im Mikroskop seine eigenen bösartigen Leukämiezellen zeigt und behauptet, diese seien normal.
  • Dann das Hadern mit dem Schicksal: Ärzte und Pflegepersonal werden als Boten des Unglücks angegriffen.
  • Drittens das Markten mit dem Schicksal, in Form von Zweitmeinungen, Scharlatanen und was der Alibimass­nahmen mehr sind.
  • Wenn die Patienten die Ausweglosigkeit realisieren kommt oft eine Depression, aus der sie im besten Falle herausfinden mit dem 
  • Annehmen des Schicksals.
In Bezug auf den tödlich bedrohten Planeten durchläuft auch die Gesellschaft solche Phasen:
  • Nach wie vor scheint Verdrängung die Hauptstrategie zu sein. Dazu gehört die neutral-unaufgeregte Wortwahl „Klimawandel“ oder die seit Jahren behördlich bekannte und tolerierte Manipulation der Verbrauchs- und Abgaswerte durch die Automobilindustrie. Aggressiv verdrängt wird die Diskussion über die Bevölkerungsgrösse. Von ihr hängt ja ceteris paribus die Umweltbelastung ab. Diese Feststellung als Populismus und Nazitum abzutun kann nur Gesundbetern einfallen.
  • In der zweiten Phase, dem Hadern mit dem Schicksal werden die Boten des Unheils angegriffen, als Spinner, Ökoterroristen oder Wirtschaftsschädlinge. Auch das findet da und dort statt.
  • Zur dritten Phase, dem Markten mit dem Schicksal in Form von Alibimassnahmen gehören beispielsweise die Elektroautos, ein zwar einleuchtendes, aber wirkungsloses Feigenblatt, was einem jeder Physikstudent erklären kann. Das überdimensionierte elektrische Tesla-Auto unserer Schweizerischen Energieministerin beweist nur, dass sie von diesem Problem gar nichts verstanden hat.
  • Die vierte Phase, die Depression gibt es auch. Zwar meinen die Fachleute, dass wir bei sofortigem und vollständigem Einsatz aller verfügbaren Mittel vielleicht die Notbremsung schaffen könnten. Aber seit dem ersten Bericht des Club of Rome sind vierzig Jahre fast ungenutzt verstrichen, und ein Churchill, der uns in dieser Abwehrschlacht einigt ist nicht in Sicht (das habe ich 2016 geschrieben, seit 2018 ist Greta Thunberg aufgetreten, ein Kind musste die späte Stimme des Widerstandes werden, beeindruckend: https://www.welt.de/politik/ausland/video200812502/Greta-Thunberg-Ihr-habt-mir-meine-Kindheit-meine-Traeume-gestohlen-Video.html). Laufen wir somit Gefahr, dass diese schöne Welt mit ihren bunten Bewohnern, den Pflanzen, Tieren und Menschen, den Heiligen und den Huren, den Erfindern und den Mördern, diese Welt, die uns die Gesänge der Pygmäen, die Epen Griechenlands und Islands, die Kathedralen des Mittelalters, die goldenen Moscheen von Isfahan, die Tuschemalerei Asiens, die Theaterstücke von Shakespeare und von Beckett sowie die Musik von Bach, Beethoven und Ligeti geschenkt hat, dass diese bunte Welt verdorren, verhungern und verbrennen soll?
  • Vor dem Annehmen dieses Schicksals wird in jedem Fall gekämpft werden - um Wasser, um letzte Ackerflächen, um die letzten kühleren Regionen, ums Überleben. Und Menschen werden sich in Bestien verwandeln.
Wäre es stattdessen nicht naheliegender, diesen Kampf schon jetzt aufzunehmen und ihn vereint gegen die Kohlendioxidemissionen zu führen? Und zwar jetzt, sofort, mit allen Mitteln jedes Bürgers und der Gemeinschaft? Der naheliegendste und erste Schritt müsste die Abschaffung der weltweit grassierenden Milliardensubventionen von fossilen Brennstoffen sein, verbunden mit Einführung einer wirksamen Kohlendioxidsteuer (9). Und dann müsste vieles diskutiert und verändert werden, wie Siedlungsstruktur, Verkehr und Arbeit. Aber auch den Tabuthemen wird man über kurz oder lang nicht ausweichen können, sei es Nationalstaatlichkeit oder Bevölkerungsentwicklung etc. etc.

Wenn wir es aufs Mythische herunterbrechen, so entriss Prometheus den Göttern das Feuer und seine Geschöpfe haben es seit der Steinzeit gehütet. In der Neuzeit kam Dampfkraft, Zentralheizung, Verbrennungsmotor, Auto, Flugzeug, Stromerzeugung – jedes Mal der Teufelspakt mit dem vermeintlich gebändigten prometheischen Feuer, das schlussendlich alles zu verbrennen droht, - Rache der Götter oder Lucifers?

1.      Carl Gustav Jung; Frank McLynn, Bantam Press 1996, S. 511.
2.      Dream Analysis, Notes of the Seminar given in 1928-30 by C.G.Jung; William McGuire (ed), Bollingen Series  XCIX, Princeton University Press, 1984, S. 34.
3.      C.G.Jung: „Memories, Dreams, Reflections“; aufgezeichnet und herausgegeben von A. Jaffe, Random House - Pantheon,  1961,  Deutsche Übersetzung: „Erinnerungen, Träume, Gedanken“, Patmos-Verlag 2009, S. 271 ff
4.      Jung – The wisdom of the dream; S.Segaller and M.Berger: Weidenfeld and Nicolson, London 1989, S.133-39.
5.      Climate Shock - the economic consequences of a hotter planet, Gernot Wagner, Martin L.Weitzmann, , Princeton University Press, 2015 (Deutsche Übersetzung: Klimaschock,bei Überreuter Sachbuch, 2016), S. 9-10.
6.      Ibid. S.10.
7.      Ibid. S.28.
8.      Ibid. S.14.
9.      Ibid. S. 23. ff 

(Aus Lukas Fierz "Begegnungen mit dem Leibhaftigen - Reportagen aus der heilen Schweiz", Tredition, 2016).