In unserer kleinen Wohnküche spielt sich unser halbes Privatleben ab: Da wird gefrühstückt, gekocht, gegessen, Kaffee und Tee getrunken, gequatscht, Projekte ausgeheckt, Post und emails verarbeitet, kurz wir sind oft hier.
Seit Jahrzehnten steht vor dem Küchenfenster ein
Futterhäuschen für die Vögel, draussen auf dem Fenstersims, erhöht durch einen
Styroporklotz, damit wir die Besucher gut sehen. Immer bei Frost und Schnee
befüllen wir das Häuschen mit Vogelfutter, mal mit Körnchen, oder zur
Abwechslung mit fetthaltigen Samen. Da kamen sie denn in Scharen aus den
umliegenden Gärten. Wenn wir über die Vogelart nicht sicher waren gab es ein
Buch mit Bildern und Beschreibungen. Man versuchte, den Kindern, die
Grundbegriffe beizubringen, also einen Spatz sollte man schon von einer
Kohlmeise, und diese von einer Blaumeise unterscheiden können. Manchmal kam
auch eine Taube.
Früher brauchte man in einem Winter wohl zwei oder
sogar drei Packungen mit Vogelfutter. Einmal befüllt wurde das Häuschen
manchmal in wenigen Tagen radibutz ausgefressen. Wenn das Häuschen besetzt war
warteten die nächsten Kunden schon im nahegelegenen Busch. Und um das Häuschen
immer eine Riesensauerei von ausgefressenen Körnchenschalen.
In den letzten Jahren wurden die Gäste seltener. Vom
Futtersack des letzten Jahres blieb die Hälfte übrig. Als es jetzt wieder so
kalt wurde haben wir die andere Hälfte nachgefüllt. Aber es ist niemand
gekommen. Das Futterhäuschen bleibt voll, das Fenstersims sauber. Nie hat mich
Sauberkeit so gestört und erschreckt, wie hier.
Ich hab mich bei der Vogelwarte Sempach erkundigt: Ja, sie bekämen solche Meldungen in Briefen und Anrufen aus der ganzen Schweiz. Aber es sei möglich, dass die Vögel auf den freien Feldern mehr Futter fänden als in den Städten. Nur, ich beobachte und befülle solche Futterhäuschen seit über 60 Jahren. Noch nie ist mir ein Winter vorgekommen, wo kein Vogel erschienen ist und nichts gefressen wurde. Das ist unheimlich. Und werden wir nicht auch betreffend Klima von den sogenannten Fachleuten mit beschönigenden Halbwahrheiten abgefertigt?
Wie dem auch sei, nachgewiesenermassen verschwinden langsamer oder schneller die Insekten, und mit ihnen reduzieren sich die Vogelpopulationen, wie Rachel Carson vor 50 Jahren in "Silent Spring" vorausgesagt hat. Niemand hörte auf sie. Zwar hat man einige besonders giftige Pestizide verboten, aber im Grundsatz hat sich nichts geändert. Die Migros verkauft integrierte Produktion, mit auf dem Papier angeblich verminderter Pestizidbelastung. Bauernverband, SVP, viele Parlamentarier und die Chemielobby sträuben sich mit Händen und Füssen gegen Verbote. Die Forderungen verzweifelter Aktivisten werden von Parlament und Bundesrat auf jene "ausgewogenen" Lösungen verdünnt, denen wir die jetzige Misere zu verdanken haben. Und das Stimmvolk? Wird es im nächsten Sommer alles abnicken?
Und die Vögel? Ach, die sind ja eh schon nicht mehr
da. Les
absents ont tort.