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Freitag, 5. Februar 2021

Les absents ont toujours tort

In unserer kleinen Wohnküche spielt sich unser halbes Privatleben ab: Da wird gefrühstückt, gekocht, gegessen, Kaffee und Tee getrunken, gequatscht, Projekte ausgeheckt, Post und emails verarbeitet, kurz wir sind oft hier.

Seit Jahrzehnten steht vor dem Küchenfenster ein Futterhäuschen für die Vögel, draussen auf dem Fenstersims, erhöht durch einen Styroporklotz, damit wir die Besucher gut sehen. Immer bei Frost und Schnee befüllen wir das Häuschen mit Vogelfutter, mal mit Körnchen, oder zur Abwechslung mit  fetthaltigen Samen. Da kamen sie denn in Scharen aus den umliegenden Gärten. Wenn wir über die Vogelart nicht sicher waren gab es ein Buch mit Bildern und Beschreibungen. Man versuchte, den Kindern, die Grundbegriffe beizubringen, also einen Spatz sollte man schon von einer Kohlmeise, und diese von einer Blaumeise unterscheiden können. Manchmal kam auch eine Taube. 

Früher brauchte man in einem Winter wohl zwei oder sogar drei Packungen mit Vogelfutter. Einmal befüllt wurde das Häuschen manchmal in wenigen Tagen radibutz ausgefressen. Wenn das Häuschen besetzt war warteten die nächsten Kunden schon im nahegelegenen Busch. Und um das Häuschen immer eine Riesensauerei von ausgefressenen Körnchenschalen.  

In den letzten Jahren wurden die Gäste seltener. Vom Futtersack des letzten Jahres blieb die Hälfte übrig. Als es jetzt wieder so kalt wurde haben wir die andere Hälfte nachgefüllt. Aber es ist niemand gekommen. Das Futterhäuschen bleibt voll, das Fenstersims sauber. Nie hat mich Sauberkeit so gestört und erschreckt, wie hier. 

Ich hab mich bei der Vogelwarte Sempach erkundigt: Ja, sie bekämen solche Meldungen in Briefen und Anrufen aus der ganzen Schweiz. Aber es sei möglich, dass die Vögel auf den freien Feldern mehr Futter fänden als in den Städten. Nur, ich beobachte und befülle solche Futterhäuschen seit über 60 Jahren. Noch nie ist mir ein Winter vorgekommen, wo kein Vogel erschienen ist und nichts gefressen wurde. Das ist unheimlich. Und werden wir nicht auch betreffend Klima von den sogenannten Fachleuten mit beschönigenden Halbwahrheiten abgefertigt?

Wie dem auch sei, nachgewiesenermassen verschwinden langsamer oder schneller die Insekten, und mit ihnen reduzieren sich die Vogelpopulationen, wie Rachel Carson vor 50 Jahren in "Silent Spring" vorausgesagt hat. Niemand hörte auf sie. Zwar hat man einige besonders giftige Pestizide verboten, aber im Grundsatz hat sich nichts geändert. Die Migros verkauft integrierte Produktion, mit auf dem Papier angeblich verminderter Pestizidbelastung. Bauernverband, SVP, viele Parlamentarier und die Chemielobby sträuben sich mit Händen und Füssen gegen Verbote. Die Forderungen verzweifelter Aktivisten werden von Parlament und Bundesrat auf jene "ausgewogenen" Lösungen verdünnt, denen wir die jetzige Misere zu verdanken haben. Und das Stimmvolk? Wird es im nächsten Sommer alles abnicken?

Und die Vögel? Ach, die sind ja eh schon nicht mehr da. Les absents ont tort. 

 


Freitag, 20. November 2020

Tabus und infantile Illusionen in der Umweltfrage

(Nach einem Vortrag vom 3.10.2020, zuerst erschienen im Journal21 vom 20.11.2020, update am 26.8.2021)

Prof. John Schellnhuber, der Berater der Deutschen Kanzlerin und des Papstes und der Erfinder des Zweigradziels zeigte uns vor drei Jahren sein Potsdamer Klimainstitut. Am Schluss, in seinem Büro, das einst Einstein benutzt hatte, meinte er zusammenfassend, er sehe nicht, wie die Menschheit sich noch aus dieser Klimafalle befreien könne.

Schellnhuber ist ja oft in den Medien, aber das hatte man von ihm öffentlich nie gehört - Anlass, der Frage nachzugehen, wie ernst es denn tatsächlich sei.

Ich bin kein Klimaspezialist, aber als Arzt beherrscht man sowieso immer nur Teilgebiete und notgedrungenerweise muss man auf verschiedene andere Spezialisten hören und mit ihnen zusammenarbeiten. Auch ist man gewohnt, mit Ungewissheiten umzugehen: Wenn ein Arzt z.B. eine Operation erwägt, so schätzt seine Erfolgsaussichten anhand von Alter, Ernährungs- und Kräftezustand des Patienten, Vorkrankheiten und Moral. Jeder Risikofaktor mindert die Erfolgsaussicht. Man kann nichts genau berechnen, aber das entbindet nicht von einer Abschätzung.  

In der Klimadiskussion wird oft gesagt, wie schwierig es sei, weil man nichts genau wisse. Aber auch hier entbindet die Ungewissheit nicht von einer Abschätzung. Zwar werden wir dabei von allerlei Tabus und Illusionen behindert, aber ich erzähle mal, was ich herausgefunden habe:  

Ich bin in Basel aufgewachsen und dort hängt im Museum der tote Christus, gemalt von Holbein vor 500 Jahren. 

 


Das Bild hat mich als junger Mensch tief beeindruckt und ich hatte es jahrelang über meinem Schreibtisch. Dieser gnadenlos realistische Blick auf unseren Gott, auf seine Passion und auf unser aller Ende. Ich war und bin überzeugt, dass wir unsere Handlungen an dem Moment messen müssen, wo wir selber in diesem Zustand sind. Bis dahin gilt es, das, was wir tun möglichst gut zu tun und keine Zeit zu verlieren. Und schon sind wir beim ersten Tabu, dem Tod. Weil er im vorherrschenden Bewusstsein verdrängt ist, kann vieles, was mit ihm zusammenhängt nicht gesehen werden.


Einige Prinzipien der Medizin... 

Ich habe dann in Zürich Medizin studiert, und da konnte man einige Prinzipien lernen:

  1.      Krankheiten beginnen oft im Geheimen: Erste Krankheitssymptome sind oft nicht der Beginn, sondern den letzte Akt. Ein Trinker oder ein Raucher braucht Jahrzehnte, um Leber oder Lunge zu ruinieren, das geht unbemerkt, weil das Organ kompensieren kann. Wenn dann Gelbsucht oder Atemnot auftritt, geht es nicht mehr viele Jahrzehnte, sondern eher Jahre.
  2.      Krankmachende Faktoren können sich mehr als addierenGemäss einer grossen epidemiologischen Studie tritt z.B. pro Monat bei ca. einem Prozent der Gesamtbevölkerung eine Depression auf. Kommt ein schwerer Belastungsfaktor (Tod eines Familienangehörigen, Kündigung, Krankheit etc.) dazu, so gibt es zwei Prozente mehr, also drei Prozent Depressionen, bei zwei Belastungsfaktoren schon drei Prozent mehr. Bei drei gleichzeitigen Belastungsfaktoren werden schon 24 Prozent depressiv. Plötzlich multiplizieren sich die Risiken (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9824167/).
  3.      Für Patienten und Versicherungen müssen wir oft Prognosen über Jahre und Jahrzehnte machen. Das geht, solange sich Krankheiten treu bleiben: Wenn ein Patient mit Multipler Sklerose nach zehn Jahren nur ganz leicht behindert ist, wird er wohl auch nach weiteren zehn Jahren noch nicht im Rollstuhl sein.  
  4.      Richtungsändernde Verschlimmerungen in Krankheitsverläufen z.B. bei Bluthochdruck oder bei Hochdruck im Auge (Glaucom) erkennt man daran, dass sich plötzlich Höchstwerte in rascher Folge häufen: Damit tritt die Krankheit in ein progressives Stadium ein und entzieht sich u.U. der Kontrolle. 
  5.      Selbstverstärkende Mechanismen können zu hyperakuter Verschlimmerung führen. Das gefürchtete Beispiel dafür ist die Verengung der Aortenklappe, der Klappe der Hauptschlagader. Das Herz erzeugt zunächst mehr Kraft und drückt genug Blut durch die Klappe, die Patienten können sogar Leichtathletik betreiben. Das geht, bis die Klappe so eng ist, dass das Herz nicht mehr genug Blut für seinen eigenen Energiebedarf kriegt, das führt zu Herzversagen und Tod innert Sekunden, Sekundenherztod. Vor solch selbstverstärkenden Mechanismen haben wir Ärzte panische Angst, weil sie unvoraussehbar und unbeherrschbar sind.  
  6.      Es gibt in unserem Beruf Autoritäten. Das sind Ärzte, die wiederholt Diagnosen gestellt haben, die alle anderen verpasst haben. Das spricht sich herum, solche Kollegen haben einen sagenhaften Ruf, und denen glaubt man mit Vorteil, auch wenn man nicht ganz nachkommt. 
  7.      Schummeln gilt nicht. Wenn Patient stirbt kommt der Pathologe oder der Gerichtsmediziner. Die sind gnadenlos. 


...Angewandt auf die Umweltsituation 

1972 wurden wir durch den Bericht des Club of Rome schockiert. Was man damals wusste hat man in einen Grosscomputer gefüttert. Es kam heraus, dass sich die Ökosysteme Mitte des 21. Jahrhunderts destabilisieren werden, wenn wir nicht mit dem Wirtschaftswachstum aufhören und die Bevölkerung auf vier Milliarden stabilisieren. Der Bericht nennt schon den Treibhauseffekt mit der Hoffnung, dass man noch eine Lösung finde. Die Modellrechnungen sagten, dass nicht eine Verknappung an Ressourcen oder an Boden der limitierende Faktor sei, sondern die Umweltverschmutzung. Alle die, wie z.B. Wirtschaftsredaktor Dr. Eisenring von der NZZ behaupten, der Club of Rome habe eine Ressourcenverknappung vorausgesagt und sei deshalb unglaubwürdig (https://www.nzz.ch/meinung/ewiges-wachstum-ist-kein-hirngespinst-ld.1564968), alle, die solches behaupten lügen, oder sie haben den Bericht nicht gelesen. Später hat der Club of Rome mit Hängen und Würgen korrigiert, dass es vielleicht mit einer Erdbevölkerung von 8 Milliarden auch gerade noch gehen könnte, dabei aber ausdrücklich gesagt, dass man die Folgen der menschlichen Aggressivität nicht modellieren könne.   

1988 stellte James Hansen erstmals fest, dass der Treibhauseffekt sich in einer nachweisbaren Erderwärmung zeige und er sagte mit einem noch primitiven Modell die weitere Erwärmung voraus, und zwar bis heute ziemlich genau. Dieser Mann ist eine Autorität. Wenn er heute die offiziellen Prognosen und Massnahmen in Frage stellt, muss das zu höchster Sorge Anlass geben. 

James Hansen wird in Handschellen abgeführt 


Illusionen zur Erderwärmung

Die Pariser Verträge von 2015 wollten die Temperaturerhöhung gegenüber dem vorindustriellen Wert auf 1,5 bzw. 2 Grad limitieren. Und Grüne in der Schweiz und in Deutschland reden noch 2021 davon, dass und wie man dieses Ziel erreichen wolle und da sind wir schon mitten in den Illusionen:  

Erste Illusion: Schon bei Abschluss der Pariser Verträge war klar, dass das 1,5 Grad-Ziel unerreichbar ist. James Hansen - meine Autorität - spricht von einem fake-Abkommen. Bei Einhaltung aller Abmachungen würde dieTemperatur um 2,4 Grad steigen, über Land mehr. Überdies rechnet das Abkommen mit grosstechnischer Abscheidung von CO2 aus der Luft, was James Hansen und andere Experten als illusionär bezeichnen (http://www.columbia.edu/~jeh1/mailings/2018/20181206_Nutshell.pdf, S. 44ff und https://www.nature.com/articles/s41467-018-05938-3). 

Zweite Illusion: Nur eine Minderheit der Staaten hält das Abkommen ein. Damit sind wir gemäss Berechnungen auf einem Weg von 3,2 Grad global bis 2100, d.h. wiederum über Land mehr. 

Soweit die gängigen Voraussagen.

Darüber gibt es die dritte Illusion, nämlich, dass das alles Alarmismus und Hysterie sei.

Noch weiter verbreitet ist die vierte Illusion, dass die bisher gemachten Aussagen die ganze Wahrheit seien. Leider trifft das nicht zu.   

Fünfte Illusion: Viele denken, der Temperaturanstieg sei und bleibe linear. Aber dass er immer schneller geht sieht man von blossem Auge:

Julitemperaturen seit 1880

Sogar das IPCC krankt an dieser Illusion: 2018 verlegte das IPCC den Anstieg um  1,5 Grad von 2100 auf 2040. Sofort kam Einspruch von amerikanischen Klimatologen: Das IPCC hatte vergessen, dass die Treibhausgase ab heute weiter steigen. Damit kommen die 1,5 Grad schon 2030, eine Vorverschiebung von 70 Jahren in einigen Jahren (https://www.nature.com/articles/d41586-018-07586-5). Und das IPCC nimmt als Ausgangswert für die Erwärmung 1850-1900. Dabei hat diese hundert Jahre vorher begonnen, und damit haben wir die 1,5 Grad Erwärmung wahrscheinlich schon jetzt fast erreicht. Mit weiterer Beschleunigung ist zu rechnen.   

Die sechste Illusion ist, dass der Treibhausmechanismus die ganze Story sei. Das wäre schlimm genug, aber es gibt zusätzlich viele positive Rückkoppelungs­mechanismen, welche die Lage verschlimmern. Die gehen zwar langsam, waren aber nach Hansen in der bisherigen Erdgeschichte immer matchentscheidend (http://www.columbia.edu/~jeh1/mailings/2018/20181206_Nutshell.pdf). Und damit, dass diese Rückkopplungen jederzeit zu einem Kippen der Situation führen können wurde das  1,5 bzw. 2-Gradziel überhaupt begründet. Das IPCC rechnet die Rückkopplungen nicht ein, weil sie nicht genau voraussagbar seien. Wie einleitend gesagt machen mir als Arzt solche Rückkopplungen mehr Angst alles andere, weil sie schon einzeln unbeherrschbar werden können, weil sie alle in die falsche Richtung gehen, und weil sie sich nicht nur addieren, sondern möglicherweise auch multiplizieren können. Das kann die Entwicklung auf Jahre verkürzen.  

Die siebte Illusion ist, dass die CO2-Konzentration nur davon abhänge, wieviel wir in die Luft blasen.  Nun wurde der CO2-Ausstoss aber bisher zu knapp einem Drittel vom Ozean aufgenommen, was zwar zu Versauerung und Problemen für die Meerestiere führte, uns aber entlastete. Nur kann ein wärmerer Ozean nicht mehr soviel CO2 aufnehmen (https://www.weforum.org/agenda/2019/03/oceans-do-us-a-huge-service-by-absorbing-nearly-a-third-of-global-co2-emissions-but-at-what-cost). 

Ähnlich die Bäume und die Vegetation an Land und im Ozean: Sie nahmen bisher auch knapp einen Drittel des ausgestossenen CO2 auf. Ein Grossteil der CO2-Kompensationsprogramme funktioniert mit tatsächlichem oder behauptetem Aufforsten. Schon jetzt verlieren wir Wald durch Abholzen und Brände, und mit einem Temperaturanstieg von 4 Grad wird ein grossflächiges Absterben der Bäume vorausgesagt (https://science.sciencemag.org/content/368/6488/261/), wie es jetzt bei den Korallenriffen stattfindet. Damit wird die Vegetation vom CO2-Puffer zum CO2-Produzenten. Der Deutsche Klimapapst Schellnhuber sagt dazu: "Wir töten unsere besten Freunde" (https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/interview-hans-joachim-schellnhuber-klimawandel-100.html). Kompensationen durch Aufforsten werden nichtig und der CO2-Ausstoss wird zum Selbstläufer, selbst bei Netto Null! 

Die achte Illusion war, dass das Eis langsam schmelze. In der Arktis geht es schneller, als gedacht (https://www.weforum.org/agenda/2020/08/arctic-sea-ice-global-warming-climate-change-predictions/). Nach Abschmelzen von Schnee und Eis nimmt die Rückstrahlung der Erde derart ab, dass wir zur Erwärmung noch bis zwanzig Prozent zurechnen können. Das bringt uns bis 2100 nicht auf über 3 sondern auf über 4 Grad, über Land mehr. 

Die neunte Illusion war bis vor wenigen Jahren, dass der Permafrost in Sibirien und anderswo erst gegen Ende des Jahrhunderts auftaue. Er taut schon jetzt (https://www.nationalgeographic.com/environment/2019/08/arctic-permafrost-is-thawing-it-could-speed-up-climate-change-feature/), und seit einigen Jahren sprudelt das Methan dort und anderswo aus erwärmten Böden und steigt in der Atmosphäre rasch an. Methan als kurzlebiges aber sehr starkes Treibhausgas kann die Erwärmung akut beschleunigen und die Selbstverbrennung zu einer Frage von Jahren machen. 

Die zehnte Illusion war, dass das alles sei. Aber neuerdings sagen mehrere Klimamodelle eine Abnahme der Wolkendecke voraus, was die Erwärmung weiter beschleunigen könnte (https://e360.yale.edu/features/why-clouds-are-the-key-to-new-troubling-projections-on-warming). 

Die elfte Illusion ist, dass alles langsam geht. Aber erdgeschichtlich ist das Tempo der jetzigen Veränderungen nie dagewesen. Zehnmal schneller als die schnellsten Veränderungen in den letzten 65 Millionen Jahren (https://news.stanford.edu/news/2013/august/climate-change-speed-080113.html), Tempo zunehmend. Seit 2019 wurden Hunderte von Temperaturrekorden gebrochen, mit mehreren Monatshöchstwerden und 2020 war das wärmste je gemessene Jahr. Als Arzt schaut man eine solche Entwicklung mit grösster Besorgnis an, weil sie den Verdacht auf bösartige Beschleunigung untermauert.  

Zwölfte Illusion: Alles redet vom Klima. Dabei haben wir noch ein zweites Problem, das Artensterben, das ebenfalls in einem Tempo abläuft, das erdgeschichtlich ausserordentlich ist und das für uns genauso bedrohlich ist. Es ist vorerst noch ziemlich unabhängig vom Klima (https://phys.org/news/2020-09-humans-climate-driven-rapidly-mammal.html): Denn die bisherigen Hauptgründe sind Bejagung, sowie Verlust und Vergiftung der Lebensräume durch stetig ausgedehnte menschliche Population und Aktivität. E.O. Wilson, der grosse Biologe, meint, dass man die Hälfte der Erde für "wildlife" reservieren müsste, wenn man das Artensterben aufhalten wolle.  


Wie der Arzt vor der Operation

Die ersten Krankheitssymptome der Erde sind allenthalben zu sehen, Dürren, Brände, Gletscherschwund, Artenverlust. Als Arzt sieht man das nicht als Beginn, sondern als Anfang vom Ende (https://lukasfierz.blogspot.com/2019/05/wie-biosysteme-kippen.html). Die Biosphäre kann nicht mehr kompensieren. 

Und wir sehen eine Vielzahl von ursächlichen Faktoren: CO2, Methan, Wasserdampf, Wolkenverlust, Ozeanversauerung, Pestizide, Verlust von Lebensräumen. Als Arzt weiss man, dass sich die Folgen nicht nur addieren sondern manchmal unvorhersehbar multiplizieren können.  

Was den Arzt vor allem panisch macht sind die mehrfachen selbstverstärkenden Mechanismen: Eisschmelze, Methanfreisetzung, CO2-Freisetzung durch Waldbrände, Waldsterben, Boden- und Ozeanerwärmung. Gegen den Hebel solcher selbstverstärkender Mechanismen hat man schon wenig Handhabe, wenn sie einzeln auftreten (man denke an die Aortenstenose), geschweige denn, wenn sie zusammenwirken und sich möglicherweise noch multiplizieren. Die nachweisliche Beschleunigung der Erwärmung und die neuliche Häufung von Höchstwerten sprechen dafür, dass der Verlauf schon jetzt eine Richtungsänderung zum Schlimmeren nimmt.  

Die 1,5- oder 2-Grad bis 2100 sind leeres Gerede, das Pariser Abkommen ist ein fake, ein falsches Alibi, weil es nicht einmal eingehalten wird. Viele Regierungen verschlimmern die Situation (Russland, Australien, Brasilien, Indien, bisher auch USA). Nur mit grösstem Glück werden wir am Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung von etwas über drei Grad haben, aber auch das ist nicht wahrscheinlich, denn die selbstverstärkenden Feedbacks sind alle schon angesprungen. So reden einige schon von vier, fünf oder mehr Grad. Das heisst über Land immer noch mehr, und das kann die menschliche Zivilisation nicht überleben. Und ein Grossteil der Biosphäre auch nicht. Wenigstens weiss ich jetzt, wieso Schellnhuber keinen Ausweg sieht. 

Schon vier Grad Globalerwärmung heissen für Johan Rockström vom Potsdam Institut bei Berlin, dass die Erde vielleicht noch vier Milliarden Menschen tragen könne, vielleicht auch weniger (https://www.theguardian.com/environment/2019/may/18/climate-crisis-heat-is-on-global-heating-four-degrees-2100-change-way-we-live). Das heisst flächendeckende Kriege, wo alte Muster von Kampf um Lebensraum wiedererwachen werden, um Lebensraum, der immer knapper und schliesslich nicht mehr verfügbar sein wird. 

Dass das alles nicht gesehen werden kann ist zunächst eine Folge der erwähnten Illusionen – in den Worten von Christian Morgenstern’s «Palmström» würde man sagen: «Also schliesst er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf». Aber solches Denken ist undiszipliniert und infantil, man könnte es einem Siebenjährigen verzeihen, nicht einem verantwortlichen Erwachsenen.

Dass uns die Realitätskontrolle derart entglitten ist, hat aber vielleicht noch den tieferen Grund, dass der Tod im Bewusstsein weitgehend tabuisiert ist. So können wir ihn nicht erblicken, obschon er uns ins Auge starrt. Idioten wie Köppel mache ich nicht einmal einen Vorwurf. Wohl eher den Klimatologen, die so tun, wie wenn es einen Ausweg geben würde, obschon sie es anders wüssten. Und den Grünen, die die Probleme nicht zu Ende denken und immer noch vom 1,5 Gradziel faseln, das ist Wählerbetrug.  


Abschied von Tabus

Last but not least kommen wir zum zweiten Tabu: Niemand will die Tatsache sehen, dass wir zu viele sind. Auch das ein Tabu, weil wir Fortpflanzungsmaschinen sind. Fortpflanzung ist uns als heiligstes und oberstes Ziel einprogrammiert. Deshalb möchten sich auch viele - z.B. unsere Grünen - in der Illusion wiegen, dass Verzicht genüge. 

Zugegeben, nur die Wohlhabenden machen die Umweltbelastung. Die zehn Prozent Wohlhabendsten wohl fünfzig Prozent der Verschmutzung, die 50 Prozent der Wohlhabenderen fast den ganzen Rest. Aber ein Grossteil des Ressourcenverbrauchs und der Verschmutzung ist dadurch erzwungen, dass zu viele Menschen in geballten Megastrukturen leben müssen, welche energiefressende Transporte brauchen. 

Einige sehen die Lösung darin, die Privilegien der obersten 10 Prozent zu eliminieren, der Rhetorik nach könnte man sogar schliessen, dass sie am liebsten die obersten 10 Prozent der Privilegierten eliminieren möchten – z.B. mit der Guillotine, nach altem revolutionärem Brauch. Aber auch die halbe Belastung wäre zu viel. Deshalb müsste man die wohlhabendere Hälfte guillotinieren, da wären wir Schweizer schon alle dabei. Aber auch das würde nur nützen, solange die verbleibende Hälfte sich nicht auch vermehren und wohlhabend werden will, mit Industrie, Fleischkonsum, Autos, Flugzeugen, wie es zum Beispiel jetzt gerade in Indien und vielen anderen Staaten geschieht, denn der edle Wilde ist nur eine weitere unserer Illusionen. 

Viele Menschen, die nicht durch Geburtenkontrolle vermieden werden, werden durch Mord, Totschlag, Hunger und Seuchen ihr Leben lassen müssen. Das ist eine weitere Realität, der wir ins Auge schauen müssten. Humaner wären zwei Generationen Einkindfamilie. 

Donnerstag, 15. August 2019

Und was, wenn wir uns nicht retten können?

(Artikel zuerst erschienen im Journal 21 vom 15.8.2019, aktualisiert am 7.2.2022)

Viktor Vasnetsov (1887): Die vier apokalyptischen Reiter. 

Neu ist, dass sich alles beschleunigt: Das Eis schmilzt rascher als gedacht und wenn es die Strahlung nicht mehr reflektiert steigt die CO2-bedingte Erwärmung nochmals um 20 oder mehr Prozent (1). Das Meer erwärmt sich rascher und steigt rascher (2) als vorausgesagt. Die Treibhausgase steigen weiter, der Temperaturanstieg beschleunigt sich nach wie vor, und die fatale Selbstverstärkung durch Methanfreisetzung und Grosswaldbrände hat eben erst begonnen. Seit Frühjahr 2019 wurden Hunderte von Temperaturrekorden gebrochen, unter anderem mit den wärmsten je gemessenen Monaten Januar, Mai, Juni und Juli.  

Temperatur im Juli (global) 1880-2019

Die vier apokalyptischen Reiter sind: Die Klimaerhitzung (3), die bis hundert mal schneller abläuft, als frühere Erwärmungen. Der Wassermangel (4), der einen Viertel der Menschheit bedroht. Das Artensterben (5) durch Schwund und Vergiftung der Lebensräume. Und nicht zuletzt die Überbevölkerung (6), die Grundursache, die weiter zunimmt. Jeder Faktor kann allein tödlich sein, aber sie wirken zusammen. Der Direktor des Potsdam Instituts für Klimaforschung Johan Rockström, ein Experte für die Grenzen des Planeten sagt, dass es schwierig sei, sich vorzustellen, wie eine 4 Grad wärmere Erde noch acht Milliarden Menschen, oder auch nur die Hälfte davon ernähren könne (7). Und die andere Hälfte? 

Viele rufen nach Massnahmen, und viele balgen sich mit jenen, die die Probleme leugnen. Aber ist das sinnvoll? Gibt es aus diesem vierfachen Overkill überhaupt noch ein Entrinnen? 

Beispielsweise erlebte der Amerikaner Roy Scranton als Soldat im Irakkrieg Schrecken und Staatszerfall. Zurück in den USA dämmerte ihm, dass dieselben Entwicklungen den Industriestaaten bevorstünden. Wie der Soldat das Sterben lernen müsse, müssten im Anthropozän auch wir lernen, zu sterben, und zwar nicht nur als Einzelindividuen, sondern als Kollektiv wie er in seinem Buch
«Learning to Die in the Anthropocene» (8) schreibt.

Unabhängig von ihm sagen die Franzosen Pablo Servigne und Raphaël Stevens in ihrem Buch 
«Comment tout peut s'éffondrer- Petit manuel de collapsologie à l'usage des générations présentes» (9) den Kollaps der Zivilisation voraus. Dazu hier ein zusammenfassendes Interview (10).

Drei persönliche Erlebnisse bestärken meine Sorge: Ein in den Medien dauerpraesenter prominenter Klimatologe, der öffentlich einen milden, lösungsorientierten Optimismus verbreitet sagte uns vor mehr als drei Jahren in privatem Rahmen, dass er nach wissenschaftlichem Ermessen für die Menschheit keinen Ausweg aus dieser Falle mehr sehe.

Und ca. 1973, das heisst kurz nach dem ersten Bericht des Club of Rome, hatte ich einen lebhaften Traum. Ich stand am Rande einer mittelgrossen Kiesgrube, die teils locker renaturiert war. Dort unten zwischen Büschen, in vielleicht zwanzig Metern Distanz war eine kleine Gruppe von nackten ganz grünen Menschen, etwa drei an der Zahl, wohl erwachsen, aber nicht alt. Sie bemerkten mich nicht und sagten zueinander von sich "Wir sind die letzten Menschen". Ich hielt das für einen bedeutungsvollen, einen sog. "grossen" Traum, konnte damit rational nicht viel anfangen und brachte ihn höchstens hypothetisch mit der Umweltsituation in Verbindung. Aber immerhin pflegte C.G.Jung einen Rabbiner zu zitieren, der geschrieben hatte: "Der Traum ist seine Deutung"...

Mein Vater, Markus Eduard Fierz (1912-2006), theoretischer Physiker der ersten Stunde, kannte Pauli, Bohr, Heisenberg, Einstein, arbeitete und lehrte in Basel, Princeton, am CERN und an der ETH. Er hatte eine grosse Intuition und war ein Virtuose für sog. Fermi-Schätzungen, d.h. dem Abschätzen von Grössen aus unzureichenden Vorgaben (Die berühmte Fermi-Frage war: "Wieviele Klavierstimmer gibt es in Chicago?"). Im Alter wurde er äusserst besorgt über die Umwelt und sagte einen allgemeinen Ökokollaps ab ca. 2020 voraus: Natürlich könne man das nicht aufs Jahr genau voraussagen. Aber wenn es einmal beginne werde es aus mathematisch-physikalischen Gründen sehr rasch bergab gehen. Nachdem ich sowohl Traum als auch Vater jahrzehnte- und jahrelang nicht verstanden hatte, könnten beide am Ende recht behalten. 


Aufschlussreich ist Inhalt und Schicksal eines Artikels von Prof. Jem Bendell (11), des Englischen Hochschullehrers für Nachhaltigkeit, der aufgrund einer grossen Literaturübersicht vertritt, dass die Umweltsituation ausser Kontrolle und unumkehrbar sei. Schon im nächsten Jahrzehnt müsse man mit grossen Krisen, ja mit beginnender Auflösung der Zivilisation rechnen. Dieser Artikel wurde von einer Fachzeitschrift nicht akzeptiert, weil er nicht genug wissenschaftliche Literatur zum Zivilisationskollaps zitiere (es gibt fast keine) und weil er die Leserschaft erschrecken könnte. 

Bendell, die Schnauze voll von dieser akademischen Korrektheit, veröffentlichte den Artikel im Netz, wo er inzwischen eine halbe Million Mal heruntergeladen und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Dort und in einem Interview kommt er zusammen mit dem Klimatologen Wolfgang Knorr (12) zum Schluss, dass auch die Wissenschaft das Publikum nicht wahrheitsgetreu informiere: z.B. vernachlässigten die Berichte des International Panel on Climate Change (IPCC) die beschleunigte Erderwärmung durch steigende Treibhausgase bzw. durch schwindende Strahlungsreflexion wegen Eisschmelze und seien deshalb durchwegs viel zu optimistisch - die beiden Gelehrten sagen wörtlich: "Science is letting down humanity". 

Tatsächlich wird die Katastrophenperspektive überall ausgeblendet: Zwar warnen Wissenschaftler und teils auch Medien seit fünfzig Jahren, aber regelmässig nur sektoriell, vorsichtig und objektiv abgewogen. Mal redet einer von schwindenden Gletschern, ein anderer bespricht die Zukunft des Wintersports, einer berichtet über Insektenschwund, noch einer studiert die Bienen, ein anderer das Gift in den Gewässern, weitere warnen vor den Temperaturen in den Städten, andere betrachten Ernteausfälle oder erforschen Migrationsgründe. Sie haben die Teile in der Hand, aber für die Erkenntnis, dass alles zusammen auf eine selbstverstärkende globale Katastrophe herausläuft fehlt leider das geistige Band. Und so fehlt auch der dringend angebrachte Bezug auf unser eigenes Schicksal und jeglicher Alarmismus. Einig sind sie sich nur darin, weitere Forschung und Geld zu fordern. Und das bewilligen die Politiker nur allzu gern, wenn sie nur sonst untätig bleiben können. 

Haben die Wissenschaftler Angst vor dem eigenen Mut? Fürchten sie Verlust von Kredit und Krediten in der Öffentlichkeit, Verlust der Sendefenster in den Medien, Verlust von Ansehen bei den Kollegen, wenn sie den Klartext redeten, der angebracht wäre und der wehtäte?

Die Weigerung, reinen Wein einzuschenken vermeidet zwar Erschrecken und Depression bei den Adressaten, hat aber die fatale Folge, dass diese sich weiter an die Hoffnung des Weiter-So und klammern. Erst Erschrecken und Depression würden den Weg zu radikalem Umdenken schaffen.


Lange war mir ein Rätsel, wie ein zweifellos so gescheiter, beredter und gebildeter Mann wie Herr Nationalrat Köppel behaupten kann, dass sich die Klimawissenschaft irre. Beim Schreiben dieses Texts ist mir etwas eingefallen: In der praktischen Tätigkeit als Arzt habe ich erfahren, dass einem fast immer geglaubt wird, wenn man deutsch, deutlich und direkt sagt, was Sache ist. Könnte es sein, dass Nationalrat Köppel und andere Skeptiker dumpf und ganz richtig spüren, dass etwas mit den IPCC- und anderen Berichten nicht stimmt und dass sie diese deshalb nicht glauben? Ausgeschlossen scheint das nicht.  

Die fragmentierte Betrachtungsweise finden wir nicht nur bei Wissenschaftlern, sondern auch bei den Besorgten und Grünen. Diese predigen gutgemeinte Einzelmassnahmen wie Vegetarismus oder Plasticverzicht, verschweigen aber fast durchgehend, dass das niemals genügt - man will schliesslich die Wähler nicht verschrecken. Nur die Kinder und die Narren sagen die Wahrheit und führen verzweifelte Kreuzzüge... 

Alle zusammen blenden die Bevölkerungsfrage aus, aber sowieso werden sie überstimmt von den dumpfen Mehrheiten, die Trump, Bolsonaro und Morrison wählen, jene Politiker, die im Grunde schon das Ende der Zivilisation ankündigen. Dazwischen die "gesunde" Mitte der meinungslosen Konsumbürger, der Medien, welche Tatsachen als Meinungen in Frage stellen und der quallenartigen Politiker, die nach Umfrageergebnissen navigieren. Das Resultat ist eine bewegungsunfähige Masse, die in Wellness narkotisiert auf die Katastrophe wartet, wie die Weihnachtstruthähne auf ihrer Truthahnfarm. Ein Arzt, der eine kritische Situation derart nachlässig handhabt landet vor Gericht und im Gefängnis

Was kommen wird zeigt schon jetzt der Nahe Osten mit Hitze, Dürre, Hunger, Staatszerfall, Willkürherrschaft, Seuchen, Krieg und Massenmigration. Das wird sich schubweise auf weitere Regionen und bis zu uns ausbreiten. Besonders störanfällig sind komplexe Systeme wie Grossstädte, Grossverteiler, Hochkultur, Geldwert, Banken, Finanzcasino, Fernverkehr, Altersvorsorge oder Rechtssicherheit. Das Gerede von Menschenrechten und Klimagerechtigkeit wird als Hohn auf der Strecke bleiben. Wir sind in einer suizidalen Kultur mitgefangen und mitgehangen.

Mittlerweile warnt sogar der Generalsekretär der UNO (13), dass wir nur noch bis 2020 haben, um ein Kippen der Situation zu vermeiden. Und doch gibt es kaum eine Reaktion. Protestierende werden eingesperrt oder ausgewiesen. So entsteht die nächste Frage: Wenn wir uns nicht retten wollen oder können, was dann? 

Dann heisst dies das Ende mancher Nationen, mancher Kulturen, vielerorts der Menschlichkeit, Massensterben von Menschen und grosser Teile der belebten Welt, vielleicht überhaupt das Ende der Menschheit. Manch alter Mensch beschäftigt sich mit seinem individuellen Ende. Im Mittelalter gab es sogar die Kunst des Sterbens (Ars moriendi), welche auf einen guten Tod vorbereiten sollte und auf die vier letzten Dinge - Tod, Gericht, Himmel oder Hölle. Immerhin konnten sich Sterbliche mit Nachfahren trösten, welche ihre Ideale, ihr Können, ihre Kultur und ihre Gene weiterführten. Dem Tod der Zivilisation fehlt dieser Trost. Aber irgendwie müssen wir die Haltung zum Tod des Individuums in eine zum Tod der Zivilisation übersetzen. 


Robert Bringhurst and seine Partnerin Jan Zwicky, zwei kanadische Naturwissenschafter, Philosophen und Dichter meinen in ihrem Büchlein  "Learning to die - Wisdom in the Age of Climate Crisis" (14), dass, wenn überhaupt, höchstens einige Menschen das sechste Massensterben überleben dürften, nicht überleben werde aber unsere Zivilisation. Und danach werde niemand von Plato, Bach oder Rembrandt wissen. 

Bringhurst ist kenntnisreicher Buchautor über
Mythen und Kultur der Amerikanischen Ureinwohner (15). Er beschreibt, wie diese sich als Teil einer Natur verstanden, die man nicht dominieren kann. Fremd sei ihnen die abendländische Einstellung, welche die Natur dominieren will, ausgedrückt schon in der Genesis 1:28 "Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht", jene Einstellung also, die eigentlich der Grund für unsere Katastrophe ist.  

Zwicky fragt, welche moralischen Qualitäten wir am Ende unserer Zivilisation bräuchten. Es seien die Qualitäten, die es seit jeher im Leben gebraucht habe: Erkenntnis und das Wissen, dass diese begrenzt sei, Bescheidenheit, Mut, Selbstkontrolle, Gerechtigkeit, Geduld und Barmherzigkeit. Bescheidenheit brauche es, um das Ego aus dem Weg zu räumen, erst das gebe den Mut, den Tatsachen in die Augen zu blicken. Und Mitleid brauche es für jene, welche den Tatsachen nicht in die Augen blicken könnten. Ohnehin seien die eigenen Handlungen und die der anderen nur Gesten in der Luft, die verschwänden wie Musik. Wie die bisherigen Massensterben werde auch das jetzige irgendein Leben zurücklassen, Leben aus dem anderes entstehen werde.  

Diese Streiflichter müssen genügen, aber dieses Büchlein zeigt, dass man das ganze Problem auch ganz anders ansehen kann, als mit Abwehr, Panik, Massnahmenkatalogen und erhobenem Zeigefinger, nämlich mit philosophischer Gelassenheit.  

Wenn das Lebensende des Individuums unausweichlich ist und nur noch aus Leiden besteht, dessen Sinn schwer einsehbar ist, so stellt sich die Frage der Sterbehilfe, die heute manchmal praktiziert wird. Diese Frage wird sich auch stellen, wenn Gesellschaften in Hunger, Seuchen, Plünderung und gegenseitigem Totschlag zugrunde gehen. Die Idee ist nicht neu, im Endzeitroman "On the Beach" 1957 (16) lässt Nevil Shute die letzten Überlebenden des Atomkrieges sich mit Zyankali umbringen, um diesen Endstadien zu entrinnen. 

Es geht auch darum, wie man die letzten Stunden gestaltet: Als die Kinder des von 
Janusz Korczak geführten Waisenhauses (17) das Warschauer Ghetto verlassen mussten gaukelte er ihnen einen Ausflug aufs Land vor und zog sie so schön wie möglich an. Korczak ging mit, vor dem Zug der zweihundert Kinder spielte ein Bub die Geige, händchenhaltend, geschmückt und singend zogen sie zu den Viehwagen, die sie in Treblinka abladen sollten zur unverzüglichen Vergasung. Le style c'est l'homme.


 Weiterführende Hinweise und Literatur:

  1. Wadhams, P. (2016) A Farewell to Ice, Oxford University Press, Oxford.
  2. https://edition.cnn.com/2019/10/30/world/rising-sea-cities-study-intl-hnk-scli-sci/index.html
  3. https://lukasfierz.blogspot.com/2019/07/redet-endlich-klartext-holocaust-2.html
  4. https://lukasfierz.blogspot.com/2019/08/wassermangel.html
  5. https://lukasfierz.blogspot.com/2019/05/wie-biosysteme-kippen.html
  6. https://lukasfierz.blogspot.com/2019/05/wir-sind-zuviele-ein-tabu.html
  7. https://www.theguardian.com/environment/2019/may/18/climate-crisis-heat-is-on-global-heating-four-degrees-2100-change-way-we-live
  8. Roy Scranton: Learning to Die in the Anthropocene, City Light Editions 2016
  9. Pablo Servigne und Raphaël Stevens : Comment tout peut s'éffondrer- Petit manuel de collapsologie à l'usage des générations présente, Seuil, 2015
  10. https://www.letemps.ch/societe/pablo-servigne-faut-faire-deuil-monde-ecrire-une-nouvelle-histoire
  11. https://www.lifeworth.com/deepadaptation.pdf
  12. https://jembendell.com/2019/07/31/climate-scientist-speaks-about-letting-down-humanity-and-what-to-do-about-it/
  13. https://www.un.org/sg/en/content/sg/statement/2018-09-10/secretary-generals-remarks-climate-change-delivered
  14. Richard Bringhust and Jan Zwicky: Learning to Die – Wisdom in the Age of Climate Crisis, University of Regina Press, 2018
  15. Richard Bringhurst: A story as sharp as a knife, Douglas & McIntyre, 2011
  16. Nevil Shute: On the Beach, Vintage, 2010
  17. https://de.wikipedia.org/wiki/Janusz_Korczak

Dienstag, 6. August 2019

Wassermangel droht einem Viertel der Weltbevölkerung

Der weltberühmte Biologe E.O.Wilson nennt drei existentielle Gefährdungen für die Biosphäre: Erwärmung, Artensterben und Trinkwassermangel, wobei der Grundtreiber für alle drei die Überbevölkerung sei. 

Über den Trinkwassermangel hat das World Resources Institute soeben einen Bericht veröffentlicht, den der Englische Guardian in untenstehender Karte zusammenfasst: Länder mit unmittelbar  drohendem Trinkwassermangel sind violett (in absteigender Dringlichkeit, eingeklammert Bevölkerung in Mio): Quatar (3), Israel (9), Libanon (6), Palaestina (5), Iran (80), Jordanien (10), Libyen (7), Kuwait (5), Saudiarabien (34), Eritrea (5), Vereinigte Arabische Emirate (9), San Marino (0), (Bahrain 2), Indien (1400), Pakistan (200), Turkmenistan (6), Oman (14), Botswana (2). 

Rot eingezeichnete Länder haben ebenfalls ein hohes Risiko von Wassermangel, u.a.: Chile (17), Zypern (1), Yemen (27), Belgien (11), Mexiko (125), Afghanistan (35), übriges Nordafrika (ca. 200), ganz Südeuropa (130),  Türkei (82), Syrien (ca.15), Irak (39), Usbekistan (33), Kirgisistan (6), Nepal (29), Südwesten der USA (57).  


Der hochgradige Wassermangel konzentriert sich besonders auf den Mittleren Osten und Nordafrika, die sog. MENA-Region. Global bedroht er akut 1,8 Milliarden Menschen, d.h. einen Viertel der Weltbevölkerung und subakut weitere 0,7 Milliarden, zusammen bis einen Drittel der Weltbevölkerung, die irgendwann einmal auf die Wanderschaft gehen müssen. Und dazu werden noch andere kommen, z.B. werden Teile Südasiens wegen Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit unbewohnbar werden, obschon es dort genug Trinkwasser gibt. Entsprechend schätzte der Chef des Deutschen Bundesnachrichtendienstes in einem Vortrag das weltweite Migrationspotential auf weit über eine Milliarde

Trinkwassermangel hängt mit den übrigen Kalamitäten und Ursachen eng zusammen. Teils ist er Folge der Klimaerwärmung, teils direkte Folge der in vielen kritischen Regionen nach wie vor zunehmenden Übervölkerung, die zu Übernutzung der Trink- und Grundwasserquellen führt, wie z.B. im IranDie weltweite Nachfrage nach Frischwasser hat sich seit 1960 verdoppelt

Mit Abstand grösster Süsswasserverbraucher ist die Landwirtschaft. Pro Kilo Weizen braucht es um die 2000 Liter Wasser. Pro Kilo Fleisch aus der Tiermast ist der Wasserverbrauch fünf bis zehnmal mal höher. Man stelle sich vor, was dies für das wasserarme Indien bedeutet, das gerade zum Fleischkonsum übergeht. 

Die Folgen sind vielfältig: Wassermangel trägt zum Artensterben bei. Im Mittelmeerraum soll bei Erreichen der zwei Grad Erwärmung der Anbau von Wein, Zitrusfrüchten und Oliven unmöglich werden. Die arabische Halbinsel wird durch Wassermangel und Erhitzung weitgehend unbewohnbar werden. Wassermangel kann zu Revolutionen und Kriegen führen: In Syrien z.B. führte zunehmende Dürre zu Landflucht in die Städte, wo deswegen Unruhen ausbrachen. Das Regime reagierte mit untauglichen Gegenmassnahmen, was zum Ausbruch des Bürgerkrieges und zur Flüchtlingskrise führte. Ähnliche Unruhen können jederzeit anderswo ausbrechen, z.B. in Ägypten. Überhaupt ist abzusehen, dass sich in Zukunft Nationen gegenseitig das Wasser abgraben werden, z.B. im Himalayagebiet oder im Quellgebiet des Nils, was auch zu Konflikten führen wird.   

Nicht allen Ländern macht der Wassermangel etwas aus: Wenn ein steigender Meeresspiegel Pakistan unter Wasser setzt, spielt Trinkwassermangel keine Rolle mehr. 

Freitag, 5. Juli 2019

Klimaerwärmung-Wassermangel-Artensterben: Ursache

Bilanz des weltberühmten Biologen E.O.Wilson

(Bericht und Interview von Marian Starkey in Population Connection Magazine Juni 2019, gekürzt)

Ich verbrachte eine schlaflose Nacht damit, auf das Interview mit ihm zu warten, Prof.Edward Osborne Wilson,  40 Jahre lang Professor an der Harvard Universität, Träger von über hundert Preisen, Autor von 35 Büchern und über 400 wissenschaftlichen Artikeln, weltweit führende Autorität der Ameisenforschung und Denker über Biologie, Evolution und Gesellschaft.

Meine Einschüchterung war unbegründet, er begrüsste mich mit einem warmen Lächeln. Wilson war gerade 90 geworden und versucht zur Zeit, sich an einen Stock zu gewöhnen, den er aber gar nicht nötig zu haben scheint. Er ist witzig, gut gepflegt und aktiver als viele andere Leute, die gerade das College abgeschlossen haben. Er braucht ein iPhone und zum Mittagessen hatte er Avocado-Toast gegessen. Abgesehen von äusseren Alterserscheinungen könnte er auch 30 Jahre alt sein. Im Grunde ist er ein «Millenial», der in den Körper eines Neunzigjährigen geraten ist.  Wilson ist mein neues Vorbild für das Pensionsalter.

Wilson, so bescheiden er auftrat, hatte viel über den Druck der Menschen auf die Umwelt zu sagen und darüber, wie wir versuchen sollten, aus dem Chaos herauszukommen, das wir angestellt hatten:

«Ich denke, das Epizentrum all unserer Umweltprobleme ist das außer Kontrolle geratene Bevölkerungswachstum. Ich weiss, besonders im Buch «Die Hälfte der  Erde», war ich optimistisch, dass sich das Übervölkerungsproblem von allein löse. Aber das Problem bleibt, es kommt von zuvielen Kindern, vom Verlangen zuvieler Leute in zuvielen Ländern nach höherem Lebensstandard. Und deshalb kann die Welt nicht in den Zustand kommen, in den sie kommen sollte.»

Er entschuldigte sich, dass er wie ein Harvard-Professor in der Vorlesung rede, um dann die aktuell kritischen Umweltprobleme zu identifizieren. Aber vorher müsse er wiederholen, dass das Bevölkerungswachstum der zentrale und wichtigste Treiber der Umweltprobleme sei, unter denen es  drei Hauptkrisen gebe: Die Klimaerwärmung, den Wassermangel und das Artensterben.     

«Alle drei Krisen haben als Hauptursache die menschliche Übervermehrung. Neben der Klimaerwärmung droht der Mangel an Frischwasser:  Etwa 4% des Wassers in der Welt sind  in Seen und Flüssen. Dieses Wasser geht rasch zur Neige, und das ist in einigen Teilen der Welt eine Hauptursache für Migration. Die dritte Krise ist das Massensterben von Arten. Wir wissen nicht genau, wie sich Ökosysteme bilden, was sie stabil macht oder wie sie sich anpassen. Wir können nicht voraussagen, was passiert, wenn eine unscheinbare kleine Tierart herausgenommen wird. Man kann das nicht einmal erraten.»

Wilson glaubt, dass die Erforschung von Ökosystemen das "nächste große Ding in der Biologie" sind, sie sind jetzt sein Forschungsschwerpunkt. Zu seinen Stärken gehört es, Wissenschaft für Laien zugänglich zu machen. Und das sei nötig, denn ohne weitverbreitete Besorgnis über die Umweltkrise werde kein politischer Wille zur Lösung entstehen.

«Wir brauchen einen Begriff, der die baldige grosse Wirkung ausdrückt: Ich nenne es den Zusammenbruch des Ökosystems. Das können die Leute verstehen. Dies bedeutet den Zusammenbruch von Arten, die für den Erhalt von natürlichen Ökosystemen und oft auch für die menschliche Existenz unerlässlich sind, z. B. für die Wasserscheidenwälder oder für fruchtbares Ackerland. Wir möchten die Menschen dazu bringen, über Dinge zu sprechen, die sie selber verstehen und die sie selbst als potenziell zerstörerisch ansehen können. Die Menschen machen sich keine Sorgen, solang sie glauben, dass die Menschheit das Recht hat, die natürliche Welt zu kontrollieren und dass diese Kontrolle unseren Wohlstand und unsere Sicherheit befördert. Aber das Gegenteil ist der Fall.  Und das sollte selbst Menschen beunruhigen, die sonst nur über ihr Privatleben nachdenken und über die persönlichen Möglichkeiten, die sie haben oder nicht haben.»

Wilson glaubt, dass die Stärkung der Stellung der Frau zur Lösung des Bevölkerungsproblems beitragen kann.

«Sobald Frauen irgendwie eine Unabhängigkeit erlangen, neigen sie dazu, die Anzahl ihrer Kinder zu verringern. Das ist  psychologisch und kommt auch aus der Erkenntnis, dass sie und ihre Familie so ein besseres Leben haben werden. Man kann sich fragen - sollen Nationen eine Bevölkerungspolitik haben? Sollen Religionen eine Bevölkerungspolitik haben? Aber es scheint mir, dass man sich am Rand faschistischer Ideen bewegt,  wenn man den Menschen sagt, wie viele Kinder sie haben dürfen. Das würde die gesamte Natur der Gesellschaft verändern.

(Übersetzung: Lukas Fierz)