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Freitag, 5. November 2021

Worauf es ankommt: Klimaupdate zur COP26

Für eine holländische Übersetzung meines Büchleins "Begegnungen mit dem Leibhaftigen" musste ich das letzte Kapitel "Faktencheck" aktualisieren, welches die Story "Der Untergang des Weissen Mannes" (ebenfalls auf diesem Blog) überprüft. Update vom 16.11.2021. 


Worauf es ankommt

Die Treibhausgase steigen seit Jahrzehnten unerbittlich und immer schneller (für CO2 google man «Keeling-Curve», erster Treffer). Entsprechend geht die gemessene Erwärmung immer schneller.  Darauf allein kommt es an, und daran hat die Klimapolitik rein nichts geändert.

Das Pariser Abkommen

2015 glaubten wir noch, dass das Pariser Abkommen die globale Erwärmung bis 2100 auf 1,5 Grad begrenzen werde. Früher Einspruch kam von James Hansen, der die durch Treibhauseffekt erwartete Erwärmung und ihre Folgen 1981 recht genau vorausgesagt und dann 1988 auch festgestellt hatte. Hansen bezeichnet die vom Pariser Abkommen geforderte grosstechnische Entfernung von riesigen CO2-Mengen aus der Atmosphäre als illusorisch. Matchentscheidend seien die Selbstverstärkungsmechanismen, das zeige die frühere Erdgeschichte. Das Abkommen sei ein «fake».

Stand heute

Inzwischen betont auch das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) die Wichtigkeit von Selbstverstärkungsmechanismen und die 1,5 Grad kommen wohl ab 2030 (1) - eine Vorverlegung von 70 Jahren gegenüber den Absichtserklärungen vor 6 Jahren! Viele offizielle Voraussagen zur Klimaerwärmung waren zu optimistisch, z.B. schmilzt das arktische Eis rascher und der Permafrost taut rascher auf als vorausgesagt. Das heissere Klima hat inzwischen zu bösartigen Wetterveränderungen geführt mit Hitzewellen, Stürmen und Überschwemmungen, grossflächigen Waldbränden bis in den hohen Norden und zu Wasserknappheit und Dürren. Die Kriege und Migrationen des Mittleren Ostens, Ostafrikas und Mittelamerikas sind schon wesentlich durch die Klimaerwärmung mit verursacht. Der auftauende Permafrost entlässt - ein weiterer Selbstverstärkungsmechanismus - zusätzliches CO2 und Methan in die Atmosphäre (Methan stammt auch aus Viehhaltung, aus Reisanbau und der Gewinnung fossiler Brennstoffe). Methan ist ein bis 80mal stärkeres Treibhausgas als das CO2, und macht zur Zeit ca. einen Drittel des Treibhauseffekts aus.

Artensterben

Wir sind im grössten Artensterben seit der Dinosaurierzeit: Anfangs war es unabhängig vom Klima durch Bejagung (Grosswild, Wale, Fische), dann durch Ausdehnung von Siedlungen und Ackerland mit Einsatz von Monokulturen, Dünger und Giften. Nicht nur Tiere, auch mindestens ein Drittel der 60’000 Baumarten sind vom Aussterben bedroht, vor allem durch Abholzen, Rodung und Überweidung, immer mehr auch durch Trockenheit und Brände. Als Arzt weiss man, dass erste Symptome oft nicht den Anfang einer Krankheit anzeigen, sondern den Anfang vom Ende: Raucher oder Trinker brauchen Jahrzehnte, bis Atemnot oder Gelbsucht auftreten, weil Lunge und Leber lange kompensieren können. Wenn Symptome kommen, sind die Organe schon zu 80 Prozent kaputt und es geht es nicht mehr Jahrzehnte, sondern eher Jahre. Entsprechend ist das sichtbare Absterben der Natur wohl nicht ein Anfang, sondern ein Anfang vom Ende. Männer in Industrienationen haben übrigens immer weniger Spermien, wohl wegen Umweltgiften und den Weichmachern in Plastikpackungen und Plastikflaschen, welche auch die Geschlechtsdifferenzierung stören. 

Klimazukunft

Nach Voraussage der UNO sind wir auf dem Weg zu 2,7 Grad globaler Temperaturerhöhung bis 2100. Über Land heisst das knapp doppelt soviel. Und mögliche Selbstverstärkungsmechanismen eingerechnet können es auch 3 oder 4 Grad Celsius werden, oder mehr, sicher weiss das niemand. Wissenschaftler wie z.B. Prof. Peter Wadhams, Arktisforscher und emeritierter Physikprofessor an der Universität Cambridge meinen sogar, dass die arktische CO2- und Methanfreisetzung zu einer akuten Beschleunigung der Erwärmung führen könnte. Wenn die Klimakatastrophe noch 2015 in weiter Ferne von vielen Generationen schien, so scheint sie jetzt eher eine Frage von Jahrzehnten, oder schlimmstenfalls von Jahren. 

Alibimassnahmen

Publikum, Medien, Parteien und Regierungen vernebeln sich den Blick mit Absichtserklärungen, Plänen und Erfolgsmeldungen über qualitatives und nachhaltiges Wachstum, Energiesparmassnahmen, Alternativenergien sowie e-Mobilität, blenden aber das einzige Kriterium aus, auf das es ankommt: Die gnadenlos steigenden Treibhausgase. In vierzig Jahren war man nicht imstande, die beiden naheliegendsten Massnahmen zu treffen, nämlich die Milliardensubventionen für die Fossilindustrie abzustellen, geschweige denn das ausgestossene CO2 wirksam zu besteuern. Beides wäre unproblematisch aus marktwirtschaftlicher Sicht, sei sie nun konservativ oder liberal. Aber jetzt braucht es viel einschneidendere Massnahmen, und auch für die wird der Bremsweg sehr lang. 

Folgen

Bei Erwärmung über 2 Grad beginnen Küsten und Küstenstädte zu versinken, Bäume und Wälder beginnen grossflächig abzusterben, Wüsten wachsen, Dürre, Insekten- und Bienensterben würgen die Ernten ab. Probleme bei Trinkwasser, Nahrung, Rohstoffen, Energie und Sicherheit werden dominoartig zunächst die komplexesten Systeme beschädigen, wie Welthandel, Geldwert, Finanzkasino, Versicherungswirtschaft, Dienstleistungsgesellschaft, Metropolen und Städte. Demokratie, Rechtsstaat, Klimagerechtigkeit und Menschenrechte werden untergehen in Staatsversagen, Bandenwirtschaft, Völkerwanderungen und Kriegen, alles wie im Nahen Osten. Bei einer Erwärmung von global 4 Grad wird die Erde vielleicht noch halb so viel Bewohner ernähren. Zuletzt zugrunde gehen wird lokale Subsistenzwirtschaft in kühleren und unwegsamen Gebieten. Am Schluss steht die unbewohnbare Erde.

So könnte der indianische Häuptling recht behalten, der vorausgesagt hat, dass der weisse Mann  untergehe werde, mit Zivilisation, übriger Menschheit und halber Schöpfung. Vielleicht sollte man sich nicht mehr mit Massnahmen, sondern eher mit der richtigen Einstellung zum Sterben beschäftigen.

Immerhin stellt sich noch die Frage, wie dieses lemmingartig blinde in den Tod Laufen zustande kommen konnte. Dazu einige Nachbemerkungen: 

Verdrängung des Todes

Seit Impfungen und Antibiotika ist der Tod nicht mehr allgegenwärtiger Teil des Lebens und er wird gern verdrängt. Elisabeth Kübler-Ross hat beschrieben, was passiert, wenn er dann doch auftritt, z.B. als Krebskrankheit - die Parallelen zur Reaktion auf die tödliche Klimakatastrophe sind frappant: Zuerst kommt die Verdrängung - wer den Tod nicht sehen kann, kann auch die tödliche Gefahr nicht wahrnehmen. Deshalb der harmlose Ausdruck Klimawandel an Stelle von Selbstverbrennung. Nach der Verdrängung kommt das Hadern mit dem Schicksal: Der Überbringer der Nachricht wird angegriffen, sei das nun der Arzt oder Greta Thunberg. Dann kommt das Markten mit dem Schicksal, man versucht Alternativkuren und Scharlatane, oder glaubt an umweltverträgliches Wachstum und e-Mobilität. Der Einsicht, dass das auch nichts bringt folgt die Depression, die wir bei Schwerkranken und bei Umweltbewussten in genau gleicher Form finden. Im besten Fall folgt ein Annehmen des Schicksals. Bezüglich Klimakatastrophe ist die Mehrheit noch am Verdrängen, Hadern und Markten.

Schuldzuweisungen

Nicht nur die Überbringer der Nachrichten dienen als Sündenböcke, auch die Politiker. Aber immerhin, in den Demokratien sind sie gewählt. Und in der Schweiz wird sowieso alles vom Volk entschieden: Im Sommer 2021 hat das Schweizer Volk in einer Abstimmung eine milde CO2-Besteuerung abgelehnt, auch abgelehnt wurden Initiativen gegen Pestizide und gegen Trinkwasservergiftung. Hierzulande verbrennt und vergiftet man sich also eigenverantwortlich und freiwillig, es gibt keine Sündenböcke. Und so sitzen wir denn wie alle anderen wohlstandsnarkotisiert in unserer Wachstums- und Konsumgesellschaft und wissen so wenig vom nahenden Ende, wie die glücklich wohlgenährten Truthähne und Gänse vor Thanksgiving und Weihnachten.

Politischer Druck

Die angeschuldigten Politiker und Machthaber wollen im Sattel bleiben und deshalb kehren sie Probleme immer und überall unter den Teppich. Als James Hansen ab 1981 bei der NASA über das Klimaproblem alarmierte wurde er verwarnt und es wurden ihm die Finanzmittel gestrichen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change schrieb und schreibt seine Berichte unter politischem Druck der öl- und kohleabbauenden Länder, wohl deshalb wurden optimistische Mittelwerte verwendet  und extremere Risiken ausgeblendet.  Noch neulich hat das IPCC die 1,5 Grad auf 2040 vorausgesagt, dabei aber «vergessen», dass die Treibhausgase weiter steigen: Wird das eingerechnet kommen die 1,5 Grad schon 2030 (1).   

Untaugliches Risikomanagement

Ein Arzt muss mit Risiken realistisch umgehen: Patienten mit Blutung aus dem Enddarm haben fast immer nur harmlose Hämorrhoiden. Aber dieser statistische Mittelwert bedeutet nichts. Wenn der Arzt die wenigen Prozent mit Darmkrebs verpasst so droht der Kunstfehlerprozess. Entsprechend muss ein Arzt immer auf die schlimmstmöglichen Varianten gefasst sein. Nachdem sich die optimistischen Annahmen der Klimapolitik laufend als falsch erweisen, so würden die Verantwortlichen vor Gericht gehören, wenn wir die Massstäbe der Medizin anlegen würden. 

Generationenproblem

Auf COVID wurde weltweit recht rasch und entschlossen reagiert, man konnte Flüge und Kreuzfahrten durchaus verbieten. Warum wird das nur für COVID gemacht und nicht für das Klima? Weil die Entscheidungsträger vorwiegend ältere Herren sind, für die COVID gefährlich ist. Solange es keine Impfung gab schützten sie sich durch Lockdown. Vom Klima wähnen sie sich nicht mehr gross betroffen, aber sie könnten sich noch wundern. Jetzt organisiert die denkende Jugend die Proteste, zu denen denkende Erwachsene während 50 Jahren nicht fähig waren. Entsprechend werden die Mehrheiten bald ändern, die Frage ist nur, ob die Zeit noch reicht.

Die Endlichkeit der Lebensgrundlagen

Ein endlicher Planet hat nur Platz für eine beschränkte Zahl von Menschen, alles andere ist infantile Allmachtphantasie. Frühe Warnungen von Malthus (1798) und von Ehrlich (The population bomb, 1968) erwiesen sich als vorläufig unbegründet wegen der technischen und der grünen Revolution. Der Bericht «Grenzen des Wachstums» des Club of Rome sah 1972 die nachhaltig mögliche Obergrenze der Weltbevölkerung bei vier Milliarden. Das Buch wird oft falsch zitiert, um es zu entkräften. Aber eine Verknappung der Ressourcen oder der Agrarproduktion ab dem Jahr 2000 wurde dort nie vorausgesagt, sondern offengelassen. Feste Voraussage jedoch war, dass weiteres Wachstum in der Mitte des 21. Jahrhunderts zu einem Zusammenbruch führen werde, mit Rückgang von Produktion und Bevölkerung. Und zwar sei der in jedem Fall kritische Faktor die Umweltverschmutzung. Auch der Treibhauseffekt des CO2 wurde erwähnt, und wie sich herausstellt, scheint dieser jetzt der begrenzende Verschmutzungsfaktor zu werden.

Was getan werden müsste

Windräder, e-Mobilität, A-Werke oder Veganismus haben bisher am CO2-Anstieg nichts geändert. Alles kann diskutiert werden, aber Einzelmassnahmen sind nicht hinreichend. Auch ein «Systemwechsel» oder eine Enteignung der «Reichen» kann nicht ein Gesamtpaket ersetzen, das unseren Konsum oder unsere Zahl, oder beides reduziert. Elemente dazu wäre: Optimal isolierte Häuser, Holzbau, verkehrsarme Siedlungen, leistungsfähiger öffentlichen Verkehr bei massiv eingeschränktem motorisiertem Privatverkehr, Verzicht auf Flüge, vorwiegend vegetarische und lokal produzierte Nahrung, weniger Konsum von allem, u.a. Warmwasser, Wasser und Kleidern, dazu Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre, soweit möglich. Weniger Produktion heisst auch weniger Arbeitszeit. Mit all dem wäre es wohl möglich, auch bei der heutigen Bevölkerungsgrösse den Energieverbrauch massiv zu senken und fast vollständig durch erneuerbare Quellen zu decken (2). Aber das Artensterben würde dadurch wohl nicht verhindert, dazu meint der berühmte Insektenforscher E.O.Wilson, dass wir die Hälfte der Erde der Natur überlassen müssten. Und das würde wohl nicht ohne Bevölkerungsreduktion gehen. 

Es war mir persönlich immer schleierhaft, wieso Bevölkerungszahlen und Bevölkerungsvermehrung nicht verhandelbar sein sollen. Dem Planeten und uns würde es wohl mit einer Weltbevölkerung von zwei Milliarden Menschen besser gehen. Dazu bräuchte es Generationen freiwilliger Einkindfamilien, wenn nicht die Umweltgifte unsere Fruchtbarkeit noch rechtzeitig eindämmen. Wenn wir die Kurve  nicht mehr kriegen wird uns jedenfalls die Umweltkatastrophe dezimieren oder ausrotten. Ob das ethischer und gescheiter ist?  

(1)  Global warming will happen faster than we think - Nature 2018

(2)   Providing decent living with minimum energy: A global scenario - ScienceDirect

4 Kommentare:

  1. (1) Ein anderes Tabu ist diese Fixiertheit auf das Jahr 2100. Wie heiß es 2100 sei wird. Viel wichtiger ist doch, auf welchem Niveau sich die TEmperatur stabilisieren wird, egal zu welchem Zeitpunkt. Wie heiß wird die Erde werden, bevor sie wieder abkühlt? Dazu liest man so wenig...
    (2) Mittelfristig mach ich mir gar keinen so großen Kopf mehr wegen Klimapolitik. Es ist klar, dass sie zu spät kommen wird, um eine große Katastrophe abzwenden. Inzwischen halte ich die FRage für wichtiger, was man tun kann, dass die Menschheit, jedenfalls ie Politiker, im Moment der Katastrophe auf einen richtigen Weg (der Kooperation, des Lastenausgleichs) zurückfinden, statt dem Reflex zu folgen, "rette sich wer kann".
    (3) Im schlimmeren Fall werden sich in den Refugien, in denen man noch halbwegs normal leben kann, Warlords breitmachen, die jedem den Zutritt verweigern werden, der sich nicht von ihnen versklaven lassen will.

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    1. Die Fixiertheit auf das Jahr 2100 scheint mir auch widersinnig und zwar, weil die Erde durchaus schon in einigen Jahrzehnten oder schlimmstenfalls in einigen Jahren unbewohnbar werden könnte. Schliesslich gibt es 65 positive Feedbackmechanismen, die alle vereint die Erwärmung beschleunigen. Und die Entwicklungen dieses Sommers hat niemand vorausgesehen, es beschleunigt sich alles rapid.

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    2. Gibt es eine Bewegung oder eine Partei, bei der sich jedes Mitglied verpflichtet, die eben genannten notwendigen Interventionen für sich selbst zu erfüllen (zumindest zu einem hohen Prozentsatz)? Falls ja, würde ich gerne beitreten ! Falls nein würde ich gerne die Gründung mit versuchen.
      Winfried Humpert Konstanz

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  2. Lieber Herr Humpert, es gibt die Grüne Partei in verschiedenen Kantonen und Ländern. Viele Grüne leben auch was sie predigen, viele leben es sogar, ohne zu predigen oder sogar ohne nach aussen "grün" zu sein. Da kann man sich anschliessen. Aber sicher muss man zuerst bei sich selber anfangen: Kein Auto, nicht fliegen, wenig heizen, kein Wegwerfkonsum etc. Ein Problem vieler Grüner ist, dass sie vor lauter Gutmenschentum ausblenden, dass das Grundproblem die Überbevölkerung ist. Z.B. faselt der Praesident der Schweizer Grünen von der 10-Millionenschweiz, wo wir doch schon mit 8 Millionen mindestens im doppelten Overshoot sind.

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