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Dienstag, 3. September 2019

NZZ gegen Wissenschaft

(Zuerst erschienen bei Infosperber vom 4.9.2019, letztmals ergänzt 28.1.2022)

Die Neue Zürcher Zeitung, 1780 als Zürcher Zeitung gegründet, war das Sprachrohr der frühen liberalen Bewegung, sie war die fortschrittliche Zeitung meiner revolutionären Vorfahren, die im Stäfnerhandel und in der Helvetischen Republik aktiv waren, die Zeitung, die seit Generationen von der Zürcher Intelligenz gelesen wurde, die meine Grosseltern und Eltern abonniert hatten und auch ich seit 53 Jahren. 
Mit wachsender Verärgerung und Besorgnis lese ich deshalb in der NZZ Artikel, die in der Klimafrage wissenschaftliche Tatsachen als Meinung darstellen und ihnen die Meinung von Schwätzern und Interessenvertretern gegenüberstellen, um den Eindruck zu erzeugen, dass es darüber noch eine "Debatte" gebe. 

Lange entschuldigte ich das damit, dass Redaktionen halt von Phil-Einsern und Geisteswissenschaftlern dominiert seien, die nicht wissen, dass mit Naturgesetzen nicht zu spassen ist.

Neulich hat aber FDP-Grossrätin und Theologin Frau Dr. Acklin in der NZZ der Klimabewegung Naturvergottung vorgeworfen, was nicht biblisch sei. Beim Versuch zu einer Replik wurde klar, dass die NZZ eine eigentliche Kampagne fährt. Oft benutzt sie dazu das Feuilleton und die Meinungsspalten. Meist wird dabei auf die Schwächen der Jugendbewegung und insbesondere von Greta Thunberg geschossen, ohne dass man sich vertieft mit dem zugrundeliegenden Problem und dem Konsens der Wissenschaft beschäftigt. Die Kommentare sind überheblich, gönnerhaft und meist uninformiert.

Die Liste umfasst inzwischen mindestens 24 Autoren, keiner versteht etwas von Klimaphysik: Weder Chefredaktor und Historiker Gujer (hinter den Links stets deren Artikel), noch der (inzwischen ausgemusterte) Feuilletonchef und Philosoph Scheu, Bodybuilder und Kunstwissenschaftler Scheller, Medienprofessor Bolz, Publizistin Wirz, Anglistin Baer, Ethikprofessor Liessmann, Literaturprofessor Gumbrecht, die Historiker Reinhardt und Schär, Wirtschaftsprofessor Borner, Romancier Bruckner, Germanist  Schulte-Richtering, Wirtschaftshistoriker Ferguson, Literaturkritiker Bucheli, Politologe Serrao, Jurist und Speaker Matuschek, die Volkswirtschaftler Imwinkelried und Rasonyi, Redaktorin Pauline Voss
Marxismus-Experte Scherrer, Betriebswirtschafter Schwarz und schon gar nicht der Dramaturg Klaus-Rüdiger Mai, der sich nicht entblödete, die Klimajugend schamlos in die Nähe der Hitlerjugend zu rücken. Sicher habe ich einige übersehen. Das Ganze ist eine Desinformations- und Verleumdungskampagne, die angesichts des Ernstes der Situation nicht anders als selbstmörderisch bezeichnet werden kann. Und wie schäbig und jämmerlich gegenüber den Klimajugendlichen, die - noch Kinder - hier stehen und nicht anders können: https://www.welt.de/politik/ausland/article200813982/UN-Wie-koennt-Ihr-es-wagen-ruft-Thunberg-den-Politikern-entgegen.html.

Den Verantwortlichen sei ins Gewissen geredet, dass ihre Leserschaft nicht nur aus korrupten Zürcher Bankern besteht, sondern - wenigstens früher - auch aus Wissenschaftlern von zwei der weltweit angesehensten Hochschulen. Die NZZ, der Chefredaktor, der Feuilletonchef, der publizistische Beirat, der Verwaltungsrat, die Aktionäre und die hinter ihnen stehende FDP müssen sich an diesen Äusserungen messen lassen. Sie sollten sich schämen. Eine Weltwoche 2.0 braucht es nicht.

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14 Kommentare:

  1. Ein hervorragender und wichtiger Beitrag! Ich habe mich bereits früher darüber geäussert (http://bit.ly/NZZ-Klimaleugnung), aber dieser Beitrag ist aktuell und trifft den Nagel auf den Kopf. Danke. Zwischen der Veröffentlichung meines und dieses Artikels hatte ich den Eindruck — richtig oder falsch —, dass sich die NZZ bessert. Nun hat sie aber vermutlich einen Tiefpunkt erreicht — hoffentlich.

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  2. Stimmt alles.

    Nur das mit den Naturgesetzen sollten Sie anders formulieren, um als Wissenschaftler und nicht als Theologe daherzukommen:

    Was wir als Naturgesetz bezeichnen, ist nur der momentane Stand des Irrtums.
    Unabänderlich sind sie schon gar nicht.
    Doch gehen wir nach bestem Wissen und Gewissen davon aus, dass deren momentanes Verständnis innerhalb sehr kleiner Ungenauigkeiten extrem gute Vorhersagen unserer Erfahrungswelt ermöglichen.

    Über die Vorgänge in Schwarzen Löchern wissen wir kaum etwas, auch nicht ob da unsere Rechengesetze auch nur in erster Näherung die dort herrschende Realität beschreiben können.

    Doch für die Vohersage der Verhältnisse in einem Dampfkochtopf wie der Erdatmosphäre reicht es eben tatsächlich ausgezeichnet.

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    1. Danke für die Belehrung: In der Erkenntnis von Naturgesetzen kann man sich tatsächlich irren oder Fortschritte machen. Das ändert nichts daran, dass die Naturgesetze selber unabänderlich sind, Lichtgeschwindigkeit, Ladung des Elektrons, Gefrierpunkt des Wassers, Schwerkraft der Erde, all das sind Fakten und nicht "Meinungen", die man so oder so haben kann. Deswegen ist man noch lang kein Theologe.

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  3. Was könnte man tun, um einen frischen Wind in eine andere Richtung rein zu bringen?

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  4. Die NZZ ist nicht nur im Klima komplett von der Rolle:

    In Bezug auf die Bundesgerichtsbarkeit lässt sie deren Präsidenten Ulrich Meyer zur subsidiären Verfassungsbeschwerde vortragen, dass von insgesamt 400 Fällen, nur ganz wenige vor Bundesgericht Erfolg beschieden sind.

    Da es relativ unwahrscheinlich ist, so viele Vollidioten als Rechtsanwälte bzw. Kläger zu haben, liegt hier das Problem rein wegen der Zahlenverhältnisse eindeutig beim Bundesgericht.

    Anstatt die Urteile zu untersuchen, darf der Bundesgerichtspräsident in der NZZ ungestraft einer Abschaffung der "subsidiären Verfassungsbeschwerde" das Wort reden.

    Klaus Marte
    Nationalratskandidat Bern, Ständeratskandidat Zürich

    https://www.nzz.ch/schweiz/bundesgericht-praesident-ulrich-meyer-im-interview-ld.1466112

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  5. Danke für diesen wichtigen Beitrag, auch ich beobachte seit langem diese Entwicklung und ich glaube, dass viele bürgerliche ältere Menschen nicht realisieren, was da abgeht und der NZZ weiter vertrauen - eine Schande

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  6. Wie kommt es nur, dass gerade die Rechten, die ja sonst immer gern apokalyptisch denken, den Klimawandel nicht wahrhaben wollen?
    .
    Meine Theorie: Normale (=religiöse) Endzeitwarnungen werden nie wirklich geglaubt, sondern dienen der Begründung einer charismatischen Gruppe ("Häuflein der Gerechten"), die sich dann einbilden kann, Gott näher zu stehen als der Rest. Ein elitäres Projekt.
    .
    Der Klimawandel aber beträfe wirklich alle und zu seiner Abwendung bedürfte es einer globalen Regierung der Vernunft. Also der pure Horror für die Rechten. Nicht der Weltuntergang an sich, sondern die "Gleichheitsdiktatur" in den verbleibenden Jahrzehnten davor.

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    1. Das ist mir seit langem ein Rätsel, und wenn mir dazu schon etwas gescheites eingefallen wäre hätte ich darüber geschrieben.

      Konservativ sein, hiesse doch, das Bestehende erhalten zu wollen und hier sind ausgerechnet die politisch-konservativen am wenigsten konservativ.

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    2. Lieber Lukas.

      Links und Rechts sind Konstrukte, um die Menschen auseinanderzutreiben.

      Das ist sogenanntes Meinungsmanagement. Rainer Mausfeld beschreibt das sehr gut, meiner Meinung nach.

      Für jeden ist etwas dabei: Fremdenfeindlichkeit, Selbstverantwortung, soziales Denken usw. usf.

      Probleme werden nur scheinbar gelöst und im Hintergrund verschwindet das Geld.

      Das ist das Hauptziel.

      Warum Du das im Nationalrat nicht mitbekommen hast, ist mir ein Rätsel?

      Lieben Gruss, Klaus Marte
      Nationalratskandidat Bern, Ständeratskandidat Zürich

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    3. Dem Boris Johnson sein Dominik Cummings hat im Sommer gesagt (youtube, Rede zum Thema warum die Brexit-Kampagne 2016 die Abstimmung gewonnen hat), dass (1) die meisten Wähler die Tories für selbstsüchtige Snobs halten, die nur an sich selber denken, denen z.B. ganz konkret die Gesundheitsversorgung der einfachen Leute egal ist, und dass (2) die meisten Wähler damit auch völlig Recht haben!!
      .
      Suchen Sie sich aus, wie Sie das deuten:
      a) Wenn einer wie er das sagt, muss das wohl stimmen.
      b) Wenn solche wie er sich inzwischen so sicher fühlen, dass sie das offen zugeben können, dann dürfte es für die 99 Prozent bald noch etwas kälter und enger werden.

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  7. Was die Konservativen erhalten wollen, sind die eigenen Privilegien.
    .
    Etwas, das man hat und andere nicht. Wenn bewohnbare Planeten Privateigentum wären, das man an Arbeiter-Ausserirdische teuer vermieten könnte, dann gäbe es schon lange keine Kohlenkraftwerke mehr.
    .
    Aber solange der Planet irgendwie allen gehört, kann man ihn auch kaputtverschleißen.

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  8. In D-land gibt es da auch noch so ein paar neoliberale Altlasten die in der Kernkraft und Glyphosat den Ausweg sehen.
    .
    https://www.salonkolumnisten.com/apokalypse-wow/
    https://www.salonkolumnisten.com/ueber-den-klimawandel-reden-aber-richtig/
    .
    Das sind zwar mehr so Lehrerkinder die alle mal Spiegel-Chefredakteur werden wollten und stattdessen nur Pressesprecher geworden sind.
    .
    Aber trotzdem würde mich interessieren, wie die Fachwelt über technische Lösungen denkt. Kann man das CO2 nicht aus der Atmosphäre irgendwie rausfiltern? Oder im Weltraum ein Segel spannen? Vielleicht klappt es doch noch endlich mit der Kernfusion? Oder sind das nur Hirngespinste?

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  9. Und warum sollte man sich über den Klimawandel Sorgen machen, wenn das mit den von der SPD geforderten Zwangssterilisierungen grade erst 90 Jahre her ist?
    .
    https://www.salonkolumnisten.com/panikmacher/
    .
    Zum Glück gibt es den Perlentaucher.

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    1. Lieber Hans Meier, Ihr Artikel von den Salonkolumnisten versucht, die Klimaerhitzung unglaubwürdig zu machen unter Verweis auf hundertjährige Eugenikideen und die lange verkannte Ursache des Magengeschwürs.

      Ich bin auch sehr für Kritik und habe in den Achtziger- und Neunzigerjahren gedacht, man werde dann ja sehen, ob das mit dem Klima so schlimm werde. Klimamodelle sind nicht irgendwelche Vermutungen, sondern man macht sie inzwischen seit Jahrzehnten und hat inzwischen auch gesehen, dass sie sehr genau sind. Man kann schon davon faseln, dass sie jetzt plötzlich ungenau seien, aber das ist russisches Roulette. Weiteres dazu hier: https://www.yaleclimateconnections.org/2017/10/how-well-have-climate-models-projected-global-warming/ (leider auf Englisch). Freundliche Grüsse Lukas Fierz

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