Transkription
eines englischen Youtube-Interviews vom 4.8.2021: Arctic Apocalypse - YouTube, erstmals veröffentlicht in Journal21 vom 11.8.2021, aktualisiert 14.2.2022)
Hier berichtet Peter Wadhams, emeritierter
Physikprofessor der Universität von Cambridge. Das Interview ist
besonders, weil hier ein Wissenschaftler einmal über seine schlimmsten Sorgen
spricht, Sorgen, die sonst meist nicht genannt werden, weil man sie (noch)
nicht exakt beweisen kann und/oder weil man sich damit unmöglich macht.
Ein Leben lang hat Wadhams die Arktis studiert, u.a. in
über 40 Expeditionen und in regelmässigen Unterseebootfahren, um die abnehmende
Dicke der Eisschicht zu messen. Seit langem wies er darauf hin, dass Schnee-
und Eisverlust die Absorption der Sonnenstrahlung begünstigt und die
Erderwärmung wesentlich beschleunigt, einer der vielen
Selbstverstärkungsmechanismen, die in früheren Berichten des IPCC
(Intergovernmental Panel on Climate Change) regelmässig vernachlässigt wurden.
2017 hat er seine Erkenntnisse im Buch «A Farewell to Ice» (2017) zusammengefasst. Das
Meereis schwindet zwar etwas langsamer, als einst von ihm prognostiziert, dessen
baldiges Ende ist trotzdem vorauszusagen. In einem aktuellen Video-Interview
kommentiert er die neuesten Entwicklungen, besonders der letzten zwei Jahre. Im
Gegensatz zum IPCC, welches auch im neuesten Report Entwicklungen bis 2100
ausrechnet meint er, dass durch katastrophale Wendungen durchaus schon in
einigen Jahren Schluss sein könnte.
Interview durch Patrick Hogan (ex-NASA) und Mark Anderson
(Strategic News Service). Transkription und Übersetzung: Lukas Fierz.
Patrick Hogan: Peter, Du brichst demnächst wieder zu
einer Expedition in den höchsten Norden auf, wo sich dramatische Entwicklungen
abspielen: Das Schrumpfen der Eisschicht in Arktis und Grönland und die
Methanfreisetzung in Sibirien. Das sind nie dagewesener Ereignisse und Klimawissenschaftler
stellen fest, dass wir schon mehrere Kipppunkte überschritten haben. Was sind
deren Wichtigste in der sich erwärmende Arktis und was bedeutet das für die
Wetterverhältnisse auf dem Planeten?
Peter Wadhams: Einer der Kippunkte ist das sich
beschleunigende Schwinden des Eisschildes über Grönland. Dies bemerkte ich nur
allmählich und nebenbei, weil ich mich meist mit dem Meereis beschäftigte. Beim Meereis fragen wir uns, ob wir es
zurückholen können – ich glaube das zwar nicht – aber wir können es versuchen.
Im Moment ist es am Schwinden und das hat viele andere durchschlagende Folgen
auf dem Planeten.
Das Problem mit dem Landeis ist, dass sein Schwinden sich
stetig beschleunigt. Letzte Woche z.B. haben wir neun Milliarden Tonnen
verloren, und der grösste Tagesverlust war 2019 und belief sich auf 12,5
Milliarden Tonnen. Im Sommer schmelzen dort jeden Tag acht, neun, zehn oder
zwölf Milliarden Tonnen Landeis, es geht ins Meer und erhöht den Meeresspiegel.
Tatsächlich leistet Grönland den grössten einzelnen Beitrag zum
Meeresspiegelanstieg und zwar scheint das Tempo schneller und schneller zu
werden. Küstenstädte und Küstenregionen müssen mit sich beschleunigend
zunehmenden Problemen rechnen. Das können wir nicht ändern oder rückgängig
machen. Wir haben den Kipppunkt überschritten.
Ein anderer Kipppunkt, der schon überschritten ist ist der
Verlust von Meereis. Das bemerkten wir erstmals vor dreissig Jahren, als wir
jedes Jahr die Dicke der Eisschicht von Unterseebooten aus massen und einen
raschen Verlust der Eisdicke feststellten. Gleichzeit begann die Eisfläche von
den Rändern her zu schrumpfen und legte im Sommer grosse Flächen offenen
Wassers frei. Das ist selber ein Beschleunigungsfaktor und wird sich weiter
beschleunigen, bis wir ein im Sommer eisfreies Meer haben – und wer weiss, was
danach passieren wird.
Der dritte Kipppunkt, wenn man drei nennen will, ist damit
verbunden: Mit soviel offenem Wasser im arktischen Sommer wärmt sich das Wasser
relativ rasch auf, weil das Meer dort im Kontinentalsockelbereich nicht sehr
tief ist, nur ca. 100 Meter tief. Wenn das Eis verschwindet erwärmt sich dort das
Wasser, und wenn sich das Wasser erwärmt, dann setzt das allerlei Dinge vom
Meeresgrund frei, zum Beispiel Methan aus Sedimenten im seichten Wasser, das im
Moment noch durch eine Permafrostschicht zurückgehalten wird. Der Permafrost
beginnt jetzt überall aufzutauen und dann werden grosse Mengen von Methan in
die Atmosphäre gelangen – eine Art Methanausbruch. Und wir haben keine Ahnung,
was wir damit machen sollen. Verschiedene Gruppen arbeiten an Methoden, wie wir
das Methan loswerden könnten. Also, es wird sich selber los, weil es nach ca.
10 Jahren oxidiert. Aber solange es in der Atmosphäre verbleibt ist es ein sehr
starkes Treibhausgas und wir wissen noch nicht, wie wir es loswerden können.
Das ist ein anderes grosses Problem und es ist unmittelbarer, weil der
Methanausbruch wahrscheinlich in sehr wenigen Jahren schon stattfinden
wird.
Patrick Hogan: Wann wird die Eisschmelze auf einen
Punkt kommen, wo man (den Meeresspiegelanstieg) in Metern messen kann? Wieviele
Jahre wird das gehen? Nach meinem Gefühl werden die Folgen der Erwärmung auf
Klima und Wetterbedingungen weit früher und dramatischer ausfallen als beim
Meeresspiegelanstieg, der für seinen Effekt auf die Küstenregionen viel länger
braucht. Man kann ja über Meeresspiegelanstieg sprechen, aber es ist fast wie
oK, ja, aber der ist nichts im Vergleich zu den
Effekten auf Wetter und Klima.
Peter Wadhams: Peter, ja Du hast recht, ich meine, es
ist eine ganz neue… die drei Trends, über die ich gesprochen habe waren und
sind kontinuierlich anhaltende Trends. Aber die Wettereffekte sind ganz neu.
Ich kann mich an eine Zeit erinnern, wenn solche… wo einem solche Dinge nicht
im Traum eingefallen wären, und das war vor lediglich zehn Jahren. Und dann,
als solche Wetterereignisse begannen - eigentlich sind es Klimaentwicklungen -
denn wenn genug Wettervents auftreten, alle zusammen und nicht mehr aufhören,
so werden sie eben zusammen zum Klimaevent. Und diese Klimaevents sind
unerwartet und sie können ausserordentlich gefährlich und destruktiv sein wie
wir wissen.
Und hier … wiederum …
die Spur des Verbrechens führt wiederum in die Arktis, wie bei so
vielem. Und die wahrscheinlichste Erklärung für diese Wetterevents ist die: Die
ursprünglich kalte Luftmasse über der Arktis erwärmt sich und passt sich der
Temperatur der gemässigteren Breitengrade an. Die Temperaturdifferenz
vermindert sich und das vermindert den Jet-Stream (Anm. Übersetzer: Rasche bis
500 km/h rascher Höhenwind), er fragmentiert sich und so kann es dann regional
sehr heiss oder sehr kalt werden, in Gegenden wo Menschen leben und
Nutzpflanzen anbauen wollen. Das sind
die Gegenden, wo wir sind, und - wiederum – die Arktis ist die Ursache, die
Arktis, die sich rascher aufwärmt als die Tropen. Aber die Effekte sind
weltweit und auch unvorhersehbar. Und so ist es doppelt schlimm, oder dreifach
schlimm, weil die Orte wo die Wetterereignisse eintreten sind genau die Orte,
wo wir anpflanzen und ernten. Daher hast Du recht, die Wetterereignisse, die in
den letzten zehn Jahren nur immer häufiger zu werden scheinen sind eine
wirklich schwere Bedrohung.
Patrick Nolan: Ob es nun Dürren sind, die Ernten
vernichten, oder enorme Unwetter, die sich nicht verschieben sondern immer nur
grösser werden, diese Effekte – wenn man sieht, wie sie die Infrastruktur für
das Leben auf diesem Planeten zerstören - scheinen mir viel vordringlicher als
alle Folgen eines Meeresspiegelanstiegs. Das ist meine letzte Frage, oder
Kommentar.
Peter Wadhams: Ja, natürlich. Ich denke, Du kannst
recht haben, irgendwann wird alles zusammenbrechen, weil - leider - die
stetigen Veränderungen, die wir beobachten nicht etwas sind, gegen das wir
etwas unternehmen, oder das wir loswerden können. Wir können den
Meeresspiegelanstieg nicht loswerden, und wir können das Meereseis nicht
zurückbringen, auch wenn einige Leute denken, dass wir das können (lacht). Das
ist dann ein anderes Problem. Wenn wir auf die Ingenieurkunst angewiesen sind,
um alle Probleme zu lösen, die wir uns selber geschaffen haben, dann wird das
alles wohl noch schlimmer machen.
Aber ja, die zusätzlichen Effekte von akuten und extremen
Wetterereignissen, werden sich zu den allmählichen Veränderungen addieren und
mit Wahrscheinlichkeit eine Art Kollaps erzeugen. Ich meine, wir… Du… weil mehr
als nur ein Ding gleichzeitig zusammenkommen.
Gerade gestern in Italien war ein gigantisches Feuer in
Sardinien, das ist der Ort, wo ich als nächstes hingehen werde nach dem
Grönlandaufenthalt. Das ist in einem Teil Sardiniens, den ich recht gut kenne,
weil meine Frau von dort stammt. Es ist so… es war ein gewaltiges Feuer, wie es
früher nicht vorgekommen ist. Es gab keine Buschfeuer in Sardinien, obschon es
dort viele Büsche gibt. Und mitten in diesen Feuern flogen Freunde von mir von
Cambridge nach Sardinien und kamen dabei in einen gigantischen Hagelsturm, der
Flugzeug und Flugzeugfenster beschädigte und eine Notlandung erzwang. Auch so
grosse Hagelstürme gab es in Sardinien noch nie. Und der Hagelsturm passierte
während die halbe Insel in Brand stand.
Es kann zu Extremereignisse verschiedener Art, ja scheinbar
völlig verschiedener Art gleichzeitig kommen: Überschwemmungen und gleichzeitig
Dürren anderswo. Deshalb sind Voraussagen so schwierig – Du weisst – die
Effekte werden wahrscheinlich dramatischer werden und viel destruktiver für den
Alltag auf dem Planeten.
Mark Anderson: Wenn ich nochmals nachhaken darf, Du
bist schon auf die dunkle Seite gegangen, aber lass mich noch ein bisschen
pessimistischer werden: Anstatt von Kipppunkten oder Triggerpunkten zu reden,
denkst Du, dass es einen Punkt ohne Wiederkehr gibt? Und haben wir den schon
überschritten, ich meine irgendeine Chance, - das hast Du ja teilweise schon
beantwortet – also eine Chance zu irgendetwas wie Normalität zurückzukommen?
Peter Wadhams: Tatsächlich ist die richtige
Definition eines Kippunktes eben, dass es keine Rückkehr gibt. Die
ursprüngliche Beobachtung kam von Hooke, das Experiment macht man ja in
Schulen. Wenn man die Spiral-Zugfeder einer Federwaage nicht übermässig dehnt,
so kehrt sie nachher in die Ursprungsform zurück. Aber wenn man sie wirklich
stark dehnt, wenn man ein zu schweres Gewicht dranhängt, dann wird sie
dauerhaft überdehnt. Und Kipppunkte sind eben dort, wo wir irgendwo ein zu
grosses Gewicht an den Planeten gehängt haben. Und ich denke, dass wir bei
gewissen Dingen nicht zurückkommen können, z.B. beim Meeresspiegelanstieg. Hier
wurde ein Kipppunkt überschritten, mit Klimaerwärmung, Eisschmelze,
Überschwemmungen von Küstenregionen. Da ist kein Weg zurück, wirklich.
Beim Verlust des Meereises denke ich auch, dass ein
Kipppunkt überschritten ist, wenn auch sehr hoffnungsvolle Leute meinen, dass
wir das Meereis zurückbringen können.
Gerade gestern (lacht) hat David King ein schönes Programm
gemacht mit dem Titel «Lasst und die Arktis wieder gefrieren». Aber
schlussendlich hat das Programm nicht aufzeigen können, wie das denn zu
bewerkstelligen wäre. Das ist immer so.
Mark Anderson: Erwartest Du – das betrifft nicht nur
das Eis – wird es in naher Zukunft eine andere Grössenordnung von Katastrophen
geben? Wie wir gesehen haben, wenn verschiedene Ereignisse zusammentreffen,
mehrere Stürme werden zu einem grossen Sturm, oder mehrere Brände werden zu
einem Grossbrand und wenn dieser Grossbrand sein eigenes Wetter kreiert und
dieses Wetter dann zu dem wird, was wir «Klima» nennen? Gibt es einen Punkt,
wenn alle diese Einflüsse zusammenkommen, auch wenn sie einzeln begonnen haben,
und dann in eine endgültige Katastrophe führen?
Und um die Frage abzuschliessen: Ich höre Leute sagen «Ja 2030, da bin ich schon tot, oder 2050,
oder 20-irgendwas, da werde ich tot sein, wen kümmerts, ich werde nicht mehr da
sein, und diejenigen die dann noch leben tun mir leid» so reden diese
kurzfristigen Denker… aber könnten wir
nicht in naher Zukunft einer Katastrophe von unvorstellbaren Ausmassen
entgegengehen, eine Katastrophe wie sie nicht vorausgesagt wurde, ausser
vielleicht in Filmen?
Peter Wadhams: Ja, ich denke, das könnte wirklich
eintreten. Und Du hast recht, die Leute denken – vor allem die Leute in meinem
Alter denken – ja nun, wenn eine Katastrophe im Jahr 2050 kommt, dann werde ich
über neunzig Jahre alt sein, das macht mir nichts aus.
Aber es wird vorher passieren, und es könnte durchaus in
sehr kurzer Zeit passieren. Man kann sich Szenarien vorstellen wie z.B. gerade
jetzt in Kalifornien. Es gab früher kaum Buschbrände, oder jedenfalls nicht
viele. Und jetzt sind es jedes Jahr mehr Buschfeuer, und sie verschmelzen und
führen zusammen zu einer Art Abbrennen des ganzen Staates. Und das könnte dazu führen,
dass der ganze Staat unbewohnbar wird, wegen Zerstörung von Siedlungen, von
Ernten, von bebaubarem Land. Du endest… am Schluss hast Du einen Ort, wo Du
nicht mehr leben kannst, das könnte passieren.
Auch in der Antarktis beispielsweise – die Leute beunruhigen
sich nicht über die Antarktis, sie denken, die ist ja weit unten und weit weg,
und dort wird wohl für Hunderte von Jahren nichts passieren. Aber auch dort brechen die Eisschichten schon
auf, und es könnte die gleiche rasche Entwicklung eintreten, die wir schon in
Grönland haben. Und das würde den Meeresspiegelanstieg weiter beschleunigen
aber auch Folgen für die bewohnbaren Teile der Erde haben, weil das Meer… das
Meer ist überall…
Patrick Hogan: Peter, und was ist mit dem Russ, der
Russ, der durch all diese Feuer erzeugt wird? Der wird sich ablagern, sei es
auf Schnee oder Eis, und das wird den Ablauf verändern…
Peter Wadhams: Ja genau, das werde ich in ein paar
Wochen vor Ort studieren. Es ist der Dreck, das schwarze Eis auf Grönland, das
ist schlimmer denn je, weil, wenn das Eis im Sommer oben abschmilzt, bleibt der
darin enthaltene Dreck darauf liegen. Die Oberfläche wird dreckiger und
dreckiger, das heisst dunkler und dunkler und dunkler, und das wärmt sie noch
mehr auf, weil sie dann mehr Strahlung absorbiert. Der Eisverlust beschleunigt
sich auch, weil das Eis dreckiger wird.
Mark Anderson: Ich möchte zuerst etwas sagen und dann
eine Frage anhängen. Ich glaube, dass die Menschen im wesentlichen unfähig
sind, nichtlineare Zusammenhänge zu begreifen. Wir sind recht gut mit den
linearen Zusammenhangen, aber jenseits des linearen gibt es eine andere Stufe
von Ereignissen, die man als richtungsändernd katastrophal (cataclysmic)
bezeichnen könnte. Das ist es – so glaube ich – was wir jetzt sehen, hier in
diesem virtuellen meeting und in der Welt.
Noch jeder IPCC-Bericht hat mit der Aussage begonnen, dass
man bisher die nicht-linearen Eigenschaften dieses Kollapses nicht richtig
gewürdigt oder begriffen habe. Und so möchte ich jetzt fragen. oder
zurückkommen, auf das was Du gerade gesagt hast - vielleicht beackern wir hier
neuen Grund, wenigstens für das Publikum: Wir sorgen uns jetzt über die
Entwicklung bis zum Jahr 2060 oder 2030, wir sehen zu, wie China ein neues
Kohlekraftwerk pro Woche aufstellt und verspricht, das ab 2030 zu ändern. Aber
ich denke, wir haben ein kurzfristigeres Problem, und so nochmals zurück zu
dem, was Du eben gesagt hast… Wenn es eine katastrophale, unvorhergesehene
Entwicklung geben würde (Du hast sie ja wahrscheinlich vorausgesehen), kannst
Du mir für diesen Fall einen Zeitrahmen geben? Wann könnte das frühestens
eintreten? Nächstes Jahr? Fünf Jahre? Was ist der früheste Zeitpunkt für so ein
richtungsändernd-katastrophales, nichtlineares und unvorhergesehenes
Mammut-Ereignis durch die Klimaveränderung?
Peter Wadhams: Ja, das ist eine gute Frage (lacht).
Das kann eine sehr kleine Zahl von Jahren sein. Wenn Du diese nichtlinearen
Effekte erwähnst… es gab ja diesen sehr berühmten amerikanischen
Wissenschaftler (Anm. des Übersetzers: Dr.Albert A.Bartlett), der jetzt
verstorben ist, der sagte, dass alle Probleme der Welt davon herrühren, dass
die Menschheit die Exponentialfunktion
nicht verstehen kann. Man hat angenommen, dass jetzt alles brav linear so
weitergeht wie bisher, zum Beispiel meinte das IPCC (Intergovernmental Panel on
climate change), dass der Meeresspiegel stetig ansteige, aber das ist komplett
falsch. Das exponentielle ist etwas, was wir nicht genug einrechnen (lacht).
Wir fügen der Atmosphäre CO2 exponentiell zunehmend zu, aber es scheint uns
nicht zu stören, wir machen weiter und es wird rasch schlimmer.
Der Fallstrick mit der exponentiellen Entwicklung ist der:
Du steigst einen Berg hinan und hinter Dir ist alles noch flach und Du denkst,
das ist ja wunderbar. Aber vor Dir wird es immer steiler bis senkrecht. Und
genau das passiert jetzt in der Welt in so vielen Aspekten des Klimas. So,
irgendwie… es ist … jede dieser exponentiellen Entwicklungen kann die Quelle
einer grossen… einer grossen Katastrophe werden. Aber ich denke, Du sprichst
über etwas ausserhalb oder über die exponentielle Entwicklung hinaus. Eine
exponentielle Entwicklung kann man wenigstens vorausberechnen (lacht)… man kann
den Meeresspiegelanstieg… das ist tatsächlich so… vorausberechnen. Wir…
vorausberechnen kann man auch die CO2-Konzentration in der Atmosphäre...
Mark Anderson: Peter, Peter, lass mich die Frage
anders stellen. Wir sprechen über Wasser, Waldbrände, dann Wetter und Klima und
alle die übereinandergelagerten Effekte. Aber das wird nichtlinear und zwar
dann, wenn die übereinandergelagerten Effekte zusammenwirken und das…
Peter Wadhams: Ja, und das kann dann mit Dingen
zusammenhängen, an die wir gar nicht gedacht haben, wie die Tiere. Ich meine,
die… die Biosphäre ist… sie ist unglaublich verletzlich (lacht) und sehr, sehr
gefährlich. Nur schon, wenn die Bienen verschwänden oder so, wir könnten nichts
mehr pflanzen. Und trotzdem kümmern wir uns nicht um sie, zerstören sie. Und
wir wissen nicht, was wir tun müssen, wieviel weiter wir gehen können, ohne
eine Katastrophe zu erzeugen. Und es gibt Katastrophen, an die wir gar nicht
denken, und doch sind sie da, können eintreten und zwar ganz rasch und
endgültig.
Mark Andersson: Ich muss Dich jetzt unter Druck
setzen, Peter. Was wäre der frühestmögliche Zeitpunkt in deiner Vorstellung…
ich weiss, es ist unmöglich. Ich gebe Dir eine unmögliche Frage. Aber Du wirst eine Antwort versuchen, Du bist
gescheit genug für das unmögliche. Also, was ist… nach Deiner Ansicht… der
frühestmögliche Zeitpunkt – Minuten, Wochen, Jahre – kommende Jahre bis alle
diese Faktoren, die bisher unabhängig voneinander wirkten, bis sie beginnen,
zusammenzuwirken, um eine allgemeine Katastrophe zu erzeugen?
Peter Wadhams: Also, ich würde sagen, es kann sich um
so wenig wie fünf Jahre handeln. Und zwar weil in den letzten ein, zwei Jahren
schon so viel passiert ist. Wenn wir zwei Jahre zurückgehen, oder drei, zwei
Jahre vielleicht, sahen wir schlimme Dinge sich ereignen, aber sie kamen nicht
alle zum gleichen Zeitpunkt. Aber jetzt sehen wir, dass schlimme Ereignisse
gleichzeitig zusammenkommen und schlimmer werden. Die Beschleunigung der
Katastrophen in den letzten Jahren haben wir nicht sosehr wahrgenommen, weil
COVID das öffentliche Bewusstsein beschäftigte. Die natürlichen Katastrophen
haben sich beschleunigt, und wenn wir uns weitere fünf Jahre dazudenken könnte
etwas wirklich, wirklich schreckliches passieren.
Mark Anderson: Danke. Ich habe nur noch eine Frage.
Vor einigen Tagen diskutierten wir mit einigen Kollegen über dieses Problem und
es entstand eine verrückte Idee, die ich Dir vorlegen möchte. Ich möchte solche
Gespräche mit einer positiven Note beenden (lacht), selbst wenn es schwierig
ist. Mangels eines besseren Namens nannten wir die Idee «Go Light»: wenn alle
Leute… Leute… wenn alle führenden Persönlichkeiten der Welt erfahren würden,
was Du gerade gesagt hast, wenn sie die Chance hätten, es zu hören und
tatsächlich zu verstehen, und wenn wir
jetzt für diesen Moment – einen verrückten Moment – behaupten, dass sie
auf die Krise reagieren und beschliessen, etwas zu unternehmen, vielleicht
beginnend mit einer Gruppe von fünf grossen Nationen, nämlich alle finanziellen
Interessen fallen zu lassen, welche die einzelnen bewegen. Ich zum Beispiel
liebe Apfelbäume, aber vergessen wir die für eine Weile und dafür investieren
wir alles Geld in Sonnenenergie. Und für fünf Jahre, beginnend morgen, würde
Geld für nichts als nur für Sonnenkraftwerke ausgegeben. Und nach fünf Jahren,
ich kann das nicht genau berechnen, aber vielleicht haben wir dann alles mit
Sonnenenergie ersetzt, oder wenigstens zwei Drittel. Aber etwas, was sonst
hundert oder fünfzig Jahre gebraucht hätte, hätte man in fünf Jahren vollendet.
Und wir würden carbonneutral, indem alle ihren Teil dazu leisten und
Sonnenkraftwerke bauen. Für Länder, die das nicht zahlen können zahlen wir. Die
ganze Welt macht mit, man kann dafür sogar Schulden machen, aber wir reagieren
auf die Schwierigkeit der Situation. Das ist die schwierigste Situation, die
wir je hatten, aber wir werden durchkommen, und so werden wir es machen. Wenn
wir das täten, was wäre das Resultat?
Peter Wadhams: Ich denke, wir... es würde helfen, den
Planeten zu retten, aber es braucht mehr dazu, weil wir CO2 aus der Atmosphäre
herausnehmen müssen… Da haben wir ein gewaltiges Problem… Wir können den
CO2-Austoss so viel reduzieren, wie wir wollen, es wäre grossartig, ihn auf null
oder eine kleine Grösse zu reduzieren, aber das CO2 das wir schon in die Atmosphäre entlassen haben verbleibt
dort und wirkt weiter. Wir müssten dieses
CO2 mit einem gigantischen «Marshall-Plan» aus der Atmosphäre entfernen, das
heisst für den Moment, dass wir all diese CO2-Sequestrierungsgeräte bauen,
wenigstens solange uns nichts einfällt, was besser, billiger und weniger
energieverbrauchend ist. Und wir müssten eine riesige Menge von solchen
Maschinen bauen um das CO2 aus der Luft zu nehmen. Wenn nicht, dann war es das
eben… Allgemein gesagt wäre es selbstverständlich sehr wertvoll, all das Geld
für Solarenergie einzusetzen, aber darüber hinaus müssen wir auch (lacht) das
CO2 aus der Luft loswerden, irgendwie. Wir werden etwas davon loswerden.
Mark Anderson: Vor zehn Jahren dachten wir einen Plan
aus, um etwas nützliches aus dem CO2 machen, nämlich ein dem Graphen-verwandtes
Baumaterial, das man mit 3-D-Printing im Bau verwenden könnte. Die meisten
Bestandteile dieser Technik existieren schon. Man könnte dann Städte aus
carbonverstärktem Zement bauen, welcher weniger CO2 abgäbe, und 10-100 mal
belastbarer wäre. Städte würden haltbarer und das wäre kommerziell
überlebensfähig. Das war das Einzige, was mir eingefallen ist.
Peter Wadhams: Das ist grossartig. So etwas ähnliches
wird gerade von der kleinen Firma «Blue Planet» in Kalifornien entwickelt. Sie
verwandeln CO2 in Kalkstein, durch Mahlen erhält man Sand. Du hast ganz recht.
Wenn wir das CO2 wirklich loswerden wollen, müssen wir es zu etwas verwenden,
was Leute brauchen und wollen und auch bereit sind, zu bezahlen. Und zwar in
einer Menge von 40 Gigatonnen pro Jahr, beim Baumaterial sind wir ja in solchen
Bereichen (lacht).